Es ist wie ein Gedicht

Geniessen wir eine köstliche Speise, rufen wir mitunter begeistert aus: „Das ist ein Gedicht!“ Oft sind Gedichte echte Aufsteller. Das Gedicht zum Geburtstag, zum Fest oder zur Geburt – das ist pure Freude gepresst in Vers und Reim. Ein Gedicht über das Alter und das Älterwerden aber? Gedichte schreiben über das Unerquickliche des Alterns? Geht das überhaupt? Es geht. Der Schriftsteller Franz Hohler hat es soeben getan. In seinem neusten Gedichtband stehen Zeilen wie diese: „wenn du / das Alter betrittst / setz den Helm auf / es herrscht Steinschlaggefahr“, und „irgend einmal / nimmt der Tod / die Sonnenbrille ab / und schaut dich an“. Das ist schwarzer Humor eines Siebzigjährigen. Dieser Siebzigjährige wird aber nicht müde, in seinen Gedichten auch Dinge einzubauen, die den schwarzen Humor aufhellen und die Optimismus verbreiten. Da sind die Osterglocken zwischen Geleise und Strasse, die „unerschrockenen Boten der Auferstehung“. Oder die singende Amsel auf dem Baukran nebenan. Und beim Betrachten der grässlichen Bilder der TV-Tagesschau wünscht er sich Kinderzeichnungen, „aus jedem Kindergarten täglich eine, damit wir endlich träumen lernen / damit wir endlich wägen können das Gewicht der Welt“.  Immer aber ist es die Liebe, die wunderbare Kräfte gegen das Alter und den Tod entwickelt. Das vielleicht schönste Gedicht im neuen Gedichtband von Franz Hohler heisst „Wissen“.  Aus diesem Gedicht stammen die Zeilen: „Wär ich geboren / vor unserer Zeit / ich wüsste nichts / ich könnte nichts / ausser singen vielleicht / und lieben“.