Von der Muse geküsst

Männer brauchen Musen. Damit sie kreativ und fantasievoll sein können. Damit sie überhaupt arbeiten können. Johann Wolfang von Goethe, das deutsche Denkmal, hat es vorgemacht. Jaja, Goethe und die Frauen. Ein Beispiel davon ist am kommenden Mittwoch im Rittersaal des Stockalperschlosses zu hören. Und nicht nur Goethe liess sich von der Muse küssen. Auch Franz Kafka, Friedrich Dürrenmatt, Scott Fitzgerald und viele andere.

Doch bleiben wir bei Goethe. Am kommenden Mittwoch im Rittersaal des Stockalperschlosses erwartet uns „Vertonte Liebe“. Eine Sopranistin und eine Pianistin präsentieren ein Liedprogramm, das thematisch den poetisch-amourösen Austausch zwischen Johann Wolfgang von Goethe und Marianne Willemer umfasst. Marianne Willemer? Sie war Goethes Muse für ein Jahr. August 1814 erste Bekanntschaft mit Goethe, September 1815 letzte Begegnung mit Goethe. Sie war verheiratet mit einem Bankier. Sie verewigte sich in der Figur der „Suleika“ in Goethes Gedichtsammlung „West-östlicher Divan“.

Und vorher und nachher? Es gab noch annähernd ein Dutzend weitere Musen, die Goethe zum „Grössten“ der deutschsprachigen Literatur gemacht haben. Und es war keineswegs so, dass Goethe seine Musen bloss „bedichtet“ hätte, ihnen also aus der Ferne Gedichte gewidmet hätte. Vielmehr war es die leidenschaftliche Liebe der Musen, welche die hervorragenden Werke des grössten Dichters und Denkers befeuerten und wohl auch erst möglich gemacht hatten. Einige Beispiele mögen diesen Sachverhalt illustrieren.

Beginnen wir mit dem „alten“ Goethe. Der 74-jährige Goethe lernt im Juli 1821 in Marienbad die 17-jährige Ulrike von Levetzow kennen. 1822 sieht er sie täglich. 1823 hat Goethe bei ihrer Mutter um die Hand Ulrikes anhalten lassen. Ulrike war Goethes Muse für das Werk „Marienbader Eelegie“.

In leidenschaftlicher Liebe entbrannte Goethe 1807 zu Wilhelmine („Minchen“) Herzlieb. Sie war zwar verlobt, aber ihm war’s egal.“Minchen“ erscheint in Goethes fantastischem Alterswerk „Die Wahlverwandtschaften“. Darin trägt die Figur der Ottilie die Züge von „Minchen“.

Nach Goethes Rückkehr aus Italien 1788 zieht Christiane Vulpius in sein Gartenhaus ein. Sie lebt mit Goethe in „wilder Ehe“, was bei der Weimarer Gesellschaft eine grosse Entrüstung auslöste. 1806 kam es wohl deswegen zu einer Heirat. Christiane Vulpius inspirierte Goethe zu seinen „Römischen Elegien“ und „Venetianischen Epigrammen“. Das Lehrgedicht „Die Metamorphose der Pflanzen“ hat Goethe eigens für sie geschrieben.

Charlotte von Stein war eine verheiratete Hofdame. Ab Juni 1775 lebte sie ihre leidenschaftliche Neigung zu Goethe aus. Mit Goethe empfand sie eine tiefe Seelenverwandtschaft. Sie war wichtigste Empfängerin von Briefen Goethes. Sie bricht den Verkehr mit Goethe ab, nachdem sie von dessen Beziehung zu Christiane Vulpius erfährt. Ab 1801 kommt es dann aber doch wieder zu einer Annäherung. Charlotte von Stein spiegelt sich in den grossen Frauenfiguren von „Iphigenie auf Tauris“ und „Torquato Tasso“. Diese Werke gehören heute zum Bildungskanon eines jeden Gymnasiums.

Mit der Bankierstochter Anna Elisabeth Schönemann („Lili“) verlobte sich Goethe zu Ostern 1775. Er löste die Verlobung im gleichen Jahr wieder auf. Zurück blieben Goethes berühmte „Lili-Lieder“.

Zu Charlotte Buff („Lotte“) entbrannte Goethe 1768 in leidenschaftlicher Liebe. Sie war verheiratet mit Johann Christian Kestner. Die beiden waren die Vorbilder für die Figuren Lotte und Albert in Goethes Briefroman „Die Leiden des jungen Werthers“.

Zur Pfarrerstochter Friederike Brion entflammte Goethes Liebe während seiner 2. Reise in die Schweiz im Jahr 1770. Die Sesenheimer Lieder waren als Briefgedichte an Friederike gedacht. Deshalb auch „Friederikenlieder“ genannt.

Auch die Nonne Susanna Catharina von Klettenberg war eine Freundin und Muse Goethes. Er besucht sie 1774, ein halbes Jahr vor seinem Tod. Sie vermittelt ihm die Vorstellungswelt des Pietismus. Sie erscheint als „die schöne Seele“ im 6. Buch von „Wilhelm Meisters Lehrjahre.“

Erwähnen muss ich unbedingt noch Anna Katharina Schönkopf, das „Käthchen“. Sie war die Tochter eines Weinwirts. Goethe verliebte sich 1766 in sie. Für ihren Freundeskreis organisierte Goethe spezielle Liebhaberaufführungen, z.B. Lessings Lustspiel „Minna von Barnhelm“.  Goethe widmete seinem Käthchen ein Liederbuch und das Schäferspiel „Die Laune des Verliebten“.

Goethe und die Frauen – das ist ein weites Feld. Seine Beziehungen zu Frauen waren von entscheidender Bedeutung für die jeweiligen Phasen seines Schaffens.

Zurück zum literarisch-musikalischen Abend im Rittersaal des Stockalperschlosses. In der Vorschau ist zu lesen: „Das Liedprogramm umfasst thematisch den poetisch-amourösen Austausch zwischen Johann Wolfgang von Goethe und Marianne Willemer, der sich in Goethes Gedichtsammlung West-östlicher Divan verewigt hat: Die leidenschaftliche Liebe im Orient tröstet über die unerfüllte Liebe im Westen hinweg, entfacht poetische Höhenflüge und verdichtet sich in Raum und Zeit.“ (Walliser Bote von Freitag, 28. April 2017). Das ist schön gesagt.

P.S.  Denken Sie daran, liebe Leserin, lieber Leser, wenn Sie demnächst den einen oder anderen von uns Männern mit einer Arbeitskollegin oder mit einer jungen Geliebten im Ausgang sehen. Achten Sie auf Ihre Wortwahl. Entweder haben wir die Arbeit vom Büro mit nach Hause genommen. Oder wir lassen uns von der Muse küssen. Nur, um uns anschliessend wieder kreativ und fantasievoll in unsere Arbeit stürzen zu können.

Zum Bild: In der Staatsoper Wien lässt man sich gern von der Muse küssen. Foto: Kurt Schnidrig.