Sehnsucht eines Hippies

In diesen ersten Maitagen ist Robert A. Pirsig, der Autor des Weltbestsellers „Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten“, 88-jährig gestorben. Das Buch erscheint 1974 und trifft präzis den Zeitgeist. Unsere Generation sehnte sich damals nach Spiritualität fern der westlichen Tradition. Auf der Suche danach, was dem Leben Sinn gibt, waren fernöstliche Philosophien angesagt.

Robert A. Pirsigs Buch wurde zur Bibel der Aussteiger und Hippies. Die Beatles zogen nach Indien, um sich und ihre Songs von indischen Yogis philosophisch befruchten zu lassen. Hermann Hesses fernöstlich geprägtes Werk „Siddharta“ liess viele von uns zum Hippie werden.

Am Rande sei es vermerkt: Hesses buddhistisch inspirierte Werke beschäftigen und begleiten mich seit den 70er-Jahren bis heute. Im Jahr 2013 brachte ich Hesses „Demian“ als Musiktheater erstmals auf die Bühne des Theaters La Poste in Visp. Ich führte Regie und schlüpfte zusätzlich auch als Schauspieler in die Rolle des gealterten Hermann Hesse (Bild).

Doch zurück zu Robert A. Pirsig, der damals – ich war Maturand am Kollegium Brig – diese Sehnsucht nach fernöstlicher Spiritualität befeuerte. Pirsig ist Mitte 40, als das autobiografisch gefärbte Buch erscheint. Auf dem Motorrad war er durch den amerikanischen Nordwesten gereist. Dabei dachte er darüber nach, was dem Leben Sinn gibt, und wie dieser Sinn erfahren werden kann. Der Motorradfahrer verfasste ein Buch über diese Reise, eine Art „Easy Rider“ mit viel fernöstlicher Philosophie. Er entdeckt das Zen, die Einheit allen Seins, auch in der Mechanik seines Töffs.

Pirsig fragte sich damals – wie viele von uns auch – ob man mit den Naturwissenschaften tatsächlich zum Wesentlichen des menschlichen Seins vordringen kann. Angefangen hatte er ein Chemiestudium, wandte sich dann aber enttäuscht von diesem rationalen und rein kognitiven Denken ab. Er wandte sich dem Spirituellen und Emotionalen zu – und mit ihm taten dies auch viele von uns, die Kritik übten an der westlichen Lebensführung.

In Pirsigs Buch steht der berühmt gewordene Satz:  „Die Rationalität ist eine so starke, alles beherrschende Triebkraft des zivilisierten Menschen, dass sie fast alles andere verdrängt hat und heute den Menschen beherrscht. Das ist die Wurzel des Übels.“ Solche Sätze verleiteten damals viele von uns dazu, nach Abschluss des Gymnasiums ein Jahr in Indien zu verbringen und dort in buddhistischer Manier nach neuer Spiritualität und nach dem wirklichen Sinn des Lebens zu suchen.

Was damals Kult war – die Sehnsucht nach Spiritualität fern der westlichen Tradition – versandet inzwischen inmitten der boomenden New-Age-Literatur in den Gestellen der Buchhandlungen. Für die Gemeinde der modernen Esoteriker sind Pirsigs Gedanken zu komplex.

Was bleibt ist die Erinnerung an den grossen Aufbruch, an die faszinierende Revolte, die damals in den 70er-Jahren uns Jugendliche zu Aussteigern und zu Hippies machte, und die viele von uns – bis heute – zu kreativen und fantasievollen Geistern reifen liess, die den Naturwissenschaften und den hiesigen Kirchen kritisch gegenüber stehen.

Zum Bild: Sehnsucht nach Spiritualität fern der westlichen Tradition in Hermann Hesses „Demian“. Uraufführung von „Demian“ als Musiktheater auf der Bühne des Theater La Poste in Visp. Foto: Michael Schnidrig.