Ein humorvolles Lesespektakel

Wortakrobatik in Dialekt, in Hochdeutsch, auf Französisch und in Sprachen, die nie zuvor gehört wurden gab das Duo Noëlle Revaz und Michael Stauffer kürzlich in der Mediathek Wallis in Brig zum Besten.  In Zeiten, da Sprach- und Lesekompetenz zur Mangelware geraten, war das Gebotene ein Leckerbissen erster Güte. Noëlle Revaz und Michael Stauffer sind freie Schriftsteller, die am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel unterrichten.

Als Zuschauer und Zuhörer faszinierte mich das Duo Revaz / Stauffer gleich von Beginn an. Das eingespielte Tandem verstand es, Alltägliches derart gekonnt auf die Schippe zu nehmen, dass Vieles, was im Alltagstrott zur Selbstverständlichkeit geworden ist, plötzlich in einem ganz anderen Licht erschien. „Spoken Word“ heisst dieses spezielle Genre der Darstellenden Kunst.

Eine mit Abkürzungen voll gepackte SMS wirkt – pointiert vorgelesen – wie eine Message von einem anderen Stern. Oder: Ein Märchen der legendären Basler Geschichten-Erzählerin Trudi Gerster, mal vorgetragen von einem etwas burschikosen Herrn namens Trude Gerster, beginnt dann sinngemäss mit der nicht ganz so noblen Einleitung: „Wo isch das huere Schloss… „, statt wie üblich mit „Es war einmal vor langer Zeit, da lebte ein König in seinem Schloss….“.

Was mich immer wieder erstaunt, sind die nahezu perfekten Interviews, die etwa Tennisspieler oder Radrennfahrer in verschiedensten Sprachen abzuliefern im Stande sind. Roger Federer überzeugt mit seinen Englisch-Kenntnissen in Wimbledon derart, dass man manchem Studierten mit Englisch-Matura und B2-Diplom den Roger als Englisch-Lehrer empfehlen müsste. Michael Stauffer persiflierte diesen Sachverhalt mit lustig-holperigen Übersetzungen wie etwa „when the sun is shining the world is different“. Kein Problem, man versteht’s ja, unser Schulenglisch.

Da ist es ein Trost, dass unsere lieben Nachbarn, die Romands, sich mit unserer Sprache, und insbesondere mit unserem Dialekt, auch ziemlich schwer tun. Noëlle Revaz in einer Yoga-Stunde auf Berndeutsch – ein Erlebnis der Sonderklasse, das sich nicht schildern lässt. Dieses „Iiiiiischnuuuufe – Uuusschnuuuuuufe“ – Komik vom Feinsten! – und wenn dann Kollege Michael Stauffer noch die dazu passenden artistischen Verrenkungen ausführt, darf man die Geburt einer zirkusreifen Clown-Nummer feiern.

Wie bitte, Sie kennen Noëlle Revaz noch nicht? Die Walliser Schriftstellerin gewann 2015 immerhin den Schweizerischen Literaturpreis mit ihrem Roman „L’infini livre“. Das Buch ist soeben auch in deutscher Sprache erschienen mit dem Titel „Das unendliche Buch“. Noëlle Revaz schreibt Novellen, Kinderbücher, Theater und Radiostücke. Der Berner Michael Stauffer ist Verfasser von Erzählungen, Theaterstücken, Hörspielen, Lyrik sowie Spoken-Word-Performances. In Bern ist er Mitglied eines „Spoken-Word-Ensembles“.

„Spoken Word“ (engl. für gesprochenes Wort) bezeichnet ein Genre der Darstellenden Kunst, bei dem ein lyrischer Text oder eine Erzählung vor Publikum vorgetragen wird. In der Entwicklung des Spoken Word waren die Poeten der Beat Generation wie William S. Burrough oder Allen Ginsberg wichtige Vorreiter. Die derzeit populärste Vortragsform des Spoken Word findet sich im Poetry Slam.

Zum Bild: Noëlle Revaz und Michelle Stauffer bei ihrer Spoken-Word-Performance in den Walliser Mediatheken. Foto: Revaz / Stauffer, Schweizerischer Literaturinstitut Biel.