Die Kunst des guten Urteils

Kürzlich war ich von der Mediathek Wallis zu einer Bücherbar eingeladen. Drei Gäste – drei Bücher, das ist das Konzept der Bücherbar. Das Besprechen von Büchern ist das eine, das Kritisieren von Büchern ist das andere. Oftmals flüchten sich Literaten in eine Besprechung, um so der Kritik zu entgehen.  Am Schluss der Veranstaltung wollte eine aufmerksame Zuhörerin von mir wissen, was ich denn von Martin Suter und seinem aktuellen Bestseller „Elefant“ halten würde?

Martin Suter schreibe besser als er lese, fiel mir ein. Er rede sehr leise und bedächtig, und seine Stimme verabschiede sich zuweilen ganz. Dabei stützte ich mich auf ein Interview, das ich vor längerer Zeit mit Martin Suter geführt hatte. Als ehemaliger Werbetexter wisse Suter zwar, was aktuell beim Publikum ankomme, fuhr ich fort. Gentechnologie als Wissenschaft würde zur Zeit bei vielen auf Interesse stossen. Dazu komme, dass die Bioluminiszenz einen kleinen genmanipulierten Elefanten rosa leuchten lasse, was bestimmt spektakulär anzusehen ist.

Die Kritik an Suters „Elefant“ auf den Punkt gebracht: Rund um dieses äusserst schlichte Setting herum kämpfen die Guten, die Tierschützer, gegen die Bösen, die Gentechniker.  Als Happy End erwartet den Leser am Ende eine Liebe zwischen zwei Menschen, die eigentlich zuvor unmöglich schien. Wer alles dem schnellen Erfolg unterordnet, der muss damit rechnen, dass das Literarische darunter leidet.

Das ist harte Kritik, aber harte Kritik sei ehrlich und förderlich, meint  der Chefkritiker der „New York Times“,  A.O.Scott. Er verteidigt in seinem neusten Buch die Streitkultur. Kritik sei wichtig, weil sie das Überangebot sortiere und bei der Entscheidungsfindung helfe. Er verdamme die heute überall grassierende „bescheuerte Nettigkeit“. Kritik sei „ein Kampfplatz widerstreitender Impulse, der sich beständig in einem Zustand von Verwirrung und Selbstzweifeln befindet“, argumentiert der amerikanische Starkritiker in seinem Buch „Kritik üben“.

Martin Suter kann diese Diskussion egal sein. Der riesige Erfolg beim Publikum gibt ihm recht. Der Erfolg zeigt auch, wie wenig unser Urteil doch zählt und wie weit die Literaturkritik oftmals am Geschmack der Zeit vorbei argumentiert.

Zum Bild: Martin Suter als Gast in der ZAP Brig. Archiv-Foto: Kurt Schnidrig.