Den Kopf in den Wolken

Als Germanist und Literat beschäftige ich mich jede Woche mit rund 20 neuen Büchern. In den allermeisten Fällen kann ich den Büchern immer auch eine gute Seite abgewinnen. Aber es gibt Ausnahmen. Da reicht mein Verständnis von dieser Welt einfach nicht aus, um zu begreifen, weshalb ein Autor sowas zwischen Buchdeckel zwängt. Kreativitätsforscher Gottlieb Guntern, den ich sehr verehre, bezeichnet solche Menschen ohne Bodenhaftung als „Wolkentypen“. Es sind dies Träumer, die in ihrem Wolkenkuckucksheim sitzen und sich in irgendwelche haarsträubende Theorien verbissen haben.

So ein Guru, der seinen Leserinnen und Lesern undurchsichtige Wolkengebilde offeriert, ist in meinen Augen der Trendforscher Matthias Horx. In seinem neusten Buch „Future Love“ entwirft er drei Szenarien für die Liebe der Zukunft. Völlig abgehoben und mit dem Kopf in den Wolken vertritt er primär das Szenario, dass wir in naher Zukunft unser Bedürfnis nach Liebe bei Robotern stillen werden. Im Bett mit Robotern! Da wird mir als Leser solcher Zeilen eiskalt, und dies nicht nur bei der Vorstellung, bei einer Gespielin aus Blech im Bett zu liegen. Kalt wird mir auch bei der Vorstellung, dass dieses seelenlose und gefühllose Liebemachen schlicht und ergreifend das Ende unseres Menschseins bedeuten würde. Trendforscher Horx hat für das Blech-Spektakel fürs Bett auch schon einen Fachausdruck parat: Liebe mit Robotern soll künftig „techno-erotische Transformation“ heissen.

Immerhin bietet der selbsternannte Unternehmensberater in seinem Buch „Future Love“ noch zwei weitere Szenarien für die Liebe der Zukunft an. Auch diese sind völlig abgehoben. Als Literaturkritiker habe ich auch sie mit dem Vermerk versehen „Den Kopf in den Wolken“. Da wäre als weiteres Szenario für die Zukunft die „Liquid Love“, die flüssige Liebe. Horx stellt sich vor, dass wir Kontrakte wie den Ehevertrag uns zurechtschneidern könnten, so eine Ehe nach Mass, weniger verpflichtend und weniger kompliziert. Nur, so meine ich: Weshalb dann nicht gleich im Konkubinat zusammenleben? Das gab es ja auch schon, und es hat meistens nicht funktioniert: Die Achtundsechziger Kommunen, die Wahl-Grossfamilien, die freie Liebe. Trendforscher Horx hat für all diesen Beziehungs-Dschungel immerhin einen neuen Sammelbegriff gefunden: „Liquid Love“.

Bei seinem dritten Zukunftsszenario in Sachen Liebe zieht Wolkentyp Horx immerhin seinen Kopf ein klein wenig aus den Wolken. Hinter dem Fachausdruck „co-evolutionäre Liebe“ verbirgt sich so eine Art Arrangement zwischen Partnern. Beide sind sich bewusst, dass man sich nun mal während eines langen Lebens verändert und sie gestehen Veränderungen auch dem anderen zu. Genau das wünschen sich zwar alle, aber genau das schaffen leider die wenigsten. Also ist auch dieses Szenario viel Lärm um nichts.

Was noch anzufügen ist: Trendforscher Matthias Horx präsentiert seine eigene Ehe und Familie als strahlendes Beispiel einer glücklichen Langzeitbeziehung. Soll man das jetzt glauben? Ist in diesem Fall sein Buch „Future Love“ einfach nur die Ausgeburt einer feucht-fröhlichen Stammtischrunde? Ist Matthias Horx ein Trendforscher für verrückte Zukunfts-Szenarien, die einfach nach Aufmerksamkeit gieren?

Nüchtern betrachtet bleibt zum Schluss die Feststellung: „Future Love“ ist ein Zukunfts-Szenario, das als nicht zutreffend eingestuft werden muss. Genau so wie eine Studie zum Thema „Die Zukunft des Internets“, die Horx im Jahr 2001 veröffentlichte. Damals prognostizierte er, dass sich das Internet nicht zu einem Massenmedium wie Radio und Fernsehen entwickeln werde… Trendforscher Matthias Horx hatte schon damals den Kopf in den Wolken. Er ist nun mal ein Wolkentyp, der uns mit Büchern aus dem Wolkenkuckucksheim aufschreckt. Die Masche scheint zu funktionieren, immerhin.

Text und Foto: Kurt Schnidrig

Literatur: Matthias Horx: Future Love. Die Zukunft von Liebe, Sex und Familie. DVA, München 2017. 336 Seiten.