Alle sind gleich – wirklich?

Mit Plakaten und Spruchbändern stellten sich diese Woche Frauen von acht Oberwalliser Institutionen den Parlamentariern im Foyer des Grossen Rates entgegen. Die Frauen machten auf ihre Anliegen der Gleichstellung aufmerksam. Staatsrätin Esther Waeber-Kalbermatten unterstützte die Aktion. Die Botschaft der Frauen war eindeutig: Frauen gehören nicht an den Herd, sondern an die politische und wirtschaftliche Macht. Schade nur, dass die protestierenden Frauen das neuste Buch von Iris Bohnet nicht gelesen haben. Die Schweizerin ist Professorin in Harvard und sie sagt, dass all die moralischen Appelle für mehr Gleichheit wenig bis gar nichts nützen.

Verhaltensökonomin Iris Bohnet hat eine erstaunliche Karriere an der renommierten Harvard University hinter sich. Als Schweizerin hat sie an der prestigeträchtigen Universität einen Lehrstuhl als Professorin für Public Policy erhalten. Auch sie beklagt die ungleiche Behandlung von Frauen und Männern in der Gesellschaft und in der Arbeitswelt. Auch sie beklagt, dass Hunderte von Milliarden Dollars der Weltwirtschaft jährlich verloren gehen, weil das Potenzial von Frauen nicht ausgeschöpft wird. Auch sie beklagt den Mangel an Frauen in Führungspositionen. Soweit stimmt sie mit den Anliegen der demonstrierenden Frauen im Foyer des Grossen Rates überein.

Doch dann spricht die Harvard-Professorin in ihrem Buch Klartext. Appelle für eine Gleichstellung der Frauen mit den Männern nützen nichts. Auch Proteste und Demonstrationen von Frauen nützen nichts. Und auch schöne Gleichstellungs-Seminare helfen kaum. Professorin Iris Bohnet gibt sich überzeugt, dass sich nur dann etwas verändern lässt, wenn man das Verhaltensdesign ändert. Was sie darunter versteht, legt sie in ihrem Buch „What works“ einleuchtend dar. Es sind verschiedene Rahmenbedingungen, die zugunsten der Gleichstellung neu gestaltet werden müssen.

Iris Bohnet möchte primär in der Arbeitswelt neue Grundlagen schaffen, und dies auf der Grundlage von grossen Datenmengen. Das Personalwesen ist gefordert, mit Daten, Zahlen und Studien, sogenannten „people analytics“, althergebrachte Stereotypen und Vorurteile in Frage zu stellen.

Auch scheinbar kleine administrative Tricks können der Gleichberechtigung Vorschub leisten. Zum Beispiel erwähnt sie den Trick, bei den Bewerbungs-Unterlagen keine Foto mehr zu verlangen. Iris Bohnet hat Studien zur Hand, die belegen, dass ein Unternehmen so die besseren Mitarbeitenden rekrutieren kann. Das Unternehmen soll bei einer Bewerbung nicht wissen, ob die Bewerbenden nun Mann oder Frau sind.

In vielen Unternehmen haben die Vorgesetzten ihre Favoriten. Häufig sind diese nicht wirklich auch die Talentiertesten. Um bei einer Bewerbung die Favoriten zu verhindern, soll nach Bohnets Ansicht ein Leistungs-Lohn eingeführt werden. Eine leistungsabhängige Vergütung würde es auch talentierten Frauen ermöglichen, die Karriereleiter zu erklimmen, gibt sich Bohnet überzeugt.

Einen interessanten Vorschlag unterbreitet die Harvard-Professorin für Väter von Töchtern. Wer als Vater eine oder mehrere Töchter hat, dem sollen bevorzugt Führungspositionen offen stehen. Denn, so argumentiert Bohnet, Väter, die selber eine Tochter haben, messen der Gleichstellung viel mehr Bedeutung zu als Väter mit Jungs.

Ein funktionierendes Mittel für gleiche Löhne von Mann und Frau ist zudem die Offenlegung der Löhne. Nur eine absolute Transparenz der Gehälter trage zur Lohngleichheit bei, schreibt die Autorin.

Iris Bohnet setzt auch auf durchdachte Alltags-Psychologie. Kleine Massnahmen erzeugen grosse Wirkung. „Sehen heisst glauben“ predigt die Verhaltensökonomin. Sie schlägt vor, in Firmen und Unternehmen Porträts und Posters von erfolgreichen und vorbildlichen Frauen und Männern aufzuhängen.

Das neue Verhaltensdesign von Iris Bohnet soll mehr bewirken als all die feurigen Appelle an die Moral der patriarchalisch getrimmten Weltöffentlichkeit. Vielleicht hätte man auch den protestierenden Frauen im Foyer des Grossen Rates das Buch von Harvard-Vorzeigedame Iris Bohnet empfehlen sollen. Verhaltensdesign statt Appelle. Das Interesse der Parlamentarier für die Gleichstellung wäre womöglich sprunghaft angestiegen.

Harvard-Professorin Iris Bohnet als die neue Vorkämpferin für die Gleichstellung? Vielleicht. Eine Feststellung allerdings macht Vorzeige-Frau Bohnet arg zu schaffen: Viele gut ausgebildete Frauen von reichen Männern gefallen sich in der Rolle der Hausfrau und Mutter. Für sie ist Gleichstellung ein Fremdwort und die Arbeitswelt ist für sie ein Ort des Grauens. Wie nur lässt sich dieser Umstand erklären? Veraltensökonomin Iris Bohnet – sonst um keine Antwort verlegen – ringt nach Erklärungen.

Text und Foto (Symbolbild): Kurt Schnidrig

Literatur: Iris Bohnet: What works. Wie Verhaltensdesign die Gleichstellung revolutionieren kann. Deutsch von Ursel Schäfer. C.H.Beck Verlag, München 2017. 381 Seiten.