Jung im Alter

Man muss schon sehr lange leben, um jung zu werden. Diesen unglaublich tröstlichen Satz hat der 91-jährige Maler Pablo Picasso formuliert. Der Satz kam mir in den Sinn, als ich kürzlich am Grab des Dichters Hermann Hesse in Montagnola stand (Bild). Im Fall von Hermann Hesse trifft zu, was sein Biograph Hugo Ball über ihn sagte: Er fühlte sich alt in der Jugend und jung im Alter. Wer etwas in die Jahre gekommen ist und trotzdem noch diesen Hunger nach Leben verspürt, der kennt die Relativität von Alter und Jugend. Hesse schrieb: Alle begabten und differenzierten Menschen sind bald alt, bald jung, so wie sie bald froh und bald traurig sind.

Wer intensiv lebt, der hat eine kürzere Lebenserwartung, glaubte man noch bis vor ein paar Jahrzehnten. Denn meistens bleiben diejenigen, die von der Norm abweichen und eigene Wege einschlagen, früher auf der Strecke als andere, die sich mit der Welt, wie sie nun einmal ist, abfinden. Stimmt diese traditionelle Sichtweise heute noch? Lebt heute tatsächlich derjenige länger, der sich anpasst und unterwirft?

Im Zeitalter von Modekrankheiten wie Burnout und Depression haben jene ein längeres Leben zu erwarten, die noch bis ins hohe Alter „von solch einem Lebenshunger getrieben werden, dass sie erstmals im Leben Tanzstunden nehmen, die Nächte auf Maskenbällen verbringen und sich dabei selber mit Humor zusehen“, schrieb Hesse. Es brauche die Erkenntnis, dass „Alter nicht schlechter als Jugend ist, Lao Tse nicht schlechter als Buddha, Blau nicht schlechter als Rot“. Alter werde nur dann lächerlich und unwürdig, wenn es Jugend spielen und nachahmen wolle.

Wir werden uns der erfreulichen Aspekte des Alters bewusst, wenn wir es aufgeben, gegen das Alter anzukämpfen. Welches aber sind diese erfreulichen Aspekte des Alters? Der Zuwachs an Gelassenheit steht dabei an erster Stelle, sie macht uns unempfindlicher gegen die Widerwärtigkeiten und gegen die feinen Nadelstiche und Hiebe des Lebens. Dazu kommt ein riesiger Fundus an Erfahrungen, Bildern und Erinnerungen aus einem gelebten Leben.

Viele Dichter und Schriftsteller liefern mit ihren Texten beste Medizin gegen die Melancholie des Alters: „Im Alter bereut man vor allem die Sünden, die man nicht begangen hat“, gab sich William Somerset Maugham überzeugt. Und Marie von Ebner Eschenbach warnte: „Wenn die Zeit kommt, in der man könnte, ist die vorüber, in der man kann.“  Und Erich Maria Remarque brachte auf den Punkt: „Vergessen können ist das Geheimnis ewiger Jugend.“

Der viel umschwärmte Hollywood-Schauspieler George Clooney legt sein Geheimnis offen, wie ewige Jugend möglich werden kann. Deshalb für alle, welche den altehrwürdigen Literaten misstrauen, hier ein Zitat von George Clooney:  „Mein Vater gab mir den besten Rat meines Lebens. Er sagte: Was du auch tust, auf keinen Fall darfst du mit 65 aufwachen und darüber nachdenken, was du versäumt hast“.

Text und Foto: Kurt Schnidrig