Gesucht: Bestes erzählerisches Werk

Wer holt am kommenden Sonntag den Schweizer Buchpreis? Die mit 40’000 Franken dotierte Auszeichnung wird am 12. November in Basel verliehen. Gesucht wird das beste erzählerische oder essayistische Werk, das deutschsprachige Autorinnen oder Autoren im Lauf des Jahres herausgegeben haben. Von 53 Verlagen wurden insgesamt 78 Titel eingereicht. Daraus hat eine Jury bereits eine Shortlist mit den 5 besten Werken erstellt. Welches dieser 5 Bücher den Schweizer Buchpreis erhält, entscheidet eine Jury am Sonntag im Theater Basel. Ich versuche mich schon mal in Wahrsagerei.

Von Julia Weber: Immer ist alles schön. Der Roman ist im Limmat Verlag erschienen und hat 256 Seiten. Es handelt sich um einen Erstlings-Roman einer jungen Zürcher Autorin. Sie erzählt von einer Frau, die mit ihrer Mutter-Rolle überfordert ist. Viel lieber tanzt sie an der Stange vor Männern und sie trinkt auch oft zu viel. Sie ist voller Sehnsucht und strebt nach Selbstverwirklichung. Die Kinder müssen sich vor der Welt ihrer Mutter schützen. Die beiden Geschwister flüchten sich in eine eigene Fantasiewelt. Gut gefallen hat mir an diesem Roman, wie die Autorin aus verschiedenen Perspektiven heraus zu erzählen versteht. Bei der psychologischen Motivierung der Handlung kamen bei mir jedoch zuweilen leise Zweifel auf.

Von Jonas Lüscher: Kraft. Der Roman ist im Verlag C.H.Beck erschienen und hat 240 Seiten. Jonas Lüscher war bereits im vergangenen Jahr auf der Shortlist für den Schweizer Buchpreis. Dieses Jahr doppelt er mit seinem Zweitling nach. Darin geht es um einen Professor namens Kraft, der unglücklich verheiratet ist und finanziell am Abgrund steht. Doch dann naht Rettung. Ein Internet-Mogul hat eine Million Dollar Preisgeld ausgerufen für denjenigen, der es schafft, einen überzeugenden Vortrag zu halten zur Frage, was wir an unserer Welt noch verbessern könnten. Professor Kraft begibt sich ins Silicon Valley um den Vortrag vorzubereiten. Dort trifft er auf eine Machtelite, die keine Tabus kennt. Gut gefallen hat mir an diesem Roman der Einfallsreichtum des Autors. Die Handlung allerdings erschien mir reichlich konstruiert und in Teilen auch unglaubwürdig.

Von Urs Faes: Halt auf Verlangen. Das Fahrtenbuch ist im Suhrkamp Verlag erschienen und hat 200 Seiten. Der Aargauer Autor legt ein sehr persönliches Buch vor. Er erzählt von einem Mann, der an Krebs erkrankt ist. Täglich fährt er mit dem Tram von seinem Zuhause quer durch die Stadt zur Therapie im Spital. Unterwegs schreibt er auf, was an Erinnerungen an seine Kindheit oder an seine verflossenen Liebschaften in ihm hochkommt. Die lebensbedrohende Krankheit zwingt ihn auch zum Nachdenken darüber, was er in seinem Leben erreicht und was er versäumt hat. Gut gefallen hat mir, wie der Autor für den todgeweihten Protagonisten viel Empathie entwickelt und wie er es schafft, dessen Innensicht auch an den Leser zu vermitteln. Ich hätte mir allerdings eine noch gezieltere Abstraktion gewünscht, in der unser Umgang mit den Tabuthemen Krankheit und Tod auch noch etwas allgemeiner thematisiert worden wäre.

Von Martina Clavadetscher: Knochenlieder. Der Roman ist in der Edition Bücherlese erschienen und hat 304 Seiten. Die Autorin ist Radiokolumnistin und Dramatikerin. Ihr Zweitling erzählt von den Familien Grün und Blau. Dabei handelt es sich um Familien, die in einer normierten Gesellschaft leben, in der es keine Privatsphäre gibt. Die Autorin thematisiert den Aufstand des Einzelnen gegen eine Welt der absoluten Kontrolle. Sie bricht eine Lanze für das Individuum. Gut gefallen haben mir in diesem Roman die vielfältigen Schreibstile, da wird nicht nur erzählt, es finden sich in diesem Buch auch dramatische und gar lyrische Elemente. Die Thematik halte ich allerdings nicht unbedingt für zukunftsgerichtet. War die Problematik von Kontrollinstanzen innerhalb einer normierten Gesellschaft nicht eher zu Zeiten der sozialistischen und kommunistischen Systeme aktuell? Individualisierungstendenzen sind heutzutage sattsam festzustellen.

Von Lukas Holliger: Das kürzere Leben des Klaus Halm. Der Roman ist im Zytglogge Verlag erschienen und hat 300 Seiten. Der Autor ist äusserst umtriebig, nebst seinem erzählerischen Schaffen produziert er auch noch Dramen und Hörspiele.  Sein Erstlings-Roman spielt sich ab in zwei Welten und auch zwischen den zwei Existenzen seines Protagonisten Klaus Halm. Den Klaus Halm gibt es in dieser Geschichte gleich in zweifacher Ausführung. Einmal erleben wir Klaus Halm in einer On-Off-Beziehung mit Yvonne, dann erleben wir Klaus Halm in einer verkorksten Ehe mit Viola und dem gemeinsamen Sohn Philip. Der eine Klaus erzählt den anderen herbei oder lässt ihn nach Bedarf auch wieder von der Bildfläche verschwinden. Gut finde ich die Ausgangslage in diesem Roman. Den selben Protagonisten in zwei verschiedenen Beziehungsgefügen auftreten zu lassen, finde ich ein gelungenes Experiment. Doch wirkt für mich das Experiment allzu überladen und allzu oberflächlich.

Mein Resümee: Keines der fünf vorgeschlagenen Werke überzeugt mich restlos. Was auffällt, das ist die Tatsache, dass es keine erfahrenen Autorinnen oder Autoren auf die Shortlist geschafft haben, mal abgesehen von Urs Faes, der sich aber mit seinem Fahrtenbuch auch nicht unbedingt als Verfasser des „besten erzählerischen Werkes“ und für den Schweizer Buchpreis aufdrängt.

Meine persönliche Favoritin auf dieser Shortlist ist demnach Julia Weber mit „Immer ist alles schön“. Wenn schon Literaturförderung mit jungen Autoren, dann wenigstens konsequent. Julia Weber wurde 1983 in Tansania geboren. 1985 kehrte sie mit ihrer Familie nach Zürich zurück. Während drei Jahren studierte sie literarisches Schreiben am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel. Julia Weber ist Mitbegründerin der Kunstaktionsgruppe „Literatur für das, was passiert“.

Text und Foto: Kurt Schnidrig