(K)ein Hort der Männlichkeit

Ein letzter Ort, wo Männer unter sich sein konnten, war das Carnotzet. Im privaten Rahmen gestattete der Hausherr nur seinen besten Freunden, diesen Raum zu betreten, den er mit Stolz eingerichtet hatte. Früher glich der Zutritt einem Einführungsritus. Zu später Stunde, nach einem ausgiebigen Essen, begaben sich die Männer ins Carnotzet. Beim kühlen Wein fiel es im Carnotzet viel leichter, freundschaftliche Männerbande enger zu knüpfen. Frauen waren praktisch ausgeschlossen, denn es ging um männliche Geselligkeit, die mit ausgiebigem Alkoholkonsum verbunden war.

Seit heute weiss ich, dass wir Männer die letzte Bastion unserer Vertrautheit und Exklusivität verloren haben. Céline Eidenbenz, die Direktorin des Kunstmuseums Sitten (Bild) führte mich durch ein Carnotzet, welches sämtliche Klischees von männerseliger Geselligkeit bei Wein und Schnaps ins Reich der Märchen verwies. Ein junger Künstler, Eric Philippoz, spielt gar mit diesen überlieferten Klischees und Vorstellungen. Im Kunstmuseum hat er ein Carnotzet als Kunstobjekt installiert. Das sei jetzt eben eine zeitgenössische Installation von einem Carnotzet, erklärte mir Céline Eidenbenz, eine Installation, die nun mit dem Manor Kunstpreis Wallis ausgezeichnet werde.

Eine Flut von literarischen Publikationen hat die Installation des Carnotzets im Walliser Kunstmuseum zum Anlass genommen, traditionelle und zeitgenössische Aspekte des Carnotzets zu diskutieren. Die vielen Publikationen hinterfragen vor allem Aspekte wie Vertrautheit, Abgeschiedenheit, Verborgenheit, Exklusivität und Geheimnis dieses Horts ehemaliger Männer-Runden. Laut den Chronisten ist der Begriff „Carnotzet“ im Waadtland aufgekommen. Das Carnotzet sei also keinesfalls eine Walliser Erfindung, wird moniert. Bereits 1894 tauche der Begriff erstmals im Waadtland auf, und in keiner einzigen Definition werde das Carnotzet mit einem Trinklokal gleichgesetzt. Das Sakrileg, aus dem Carnotzet ein Trinklokal gemacht zu haben, wird den Wallisern zugeschrieben.

Das Konzept des Carnotzets verbreitete sich – ausgehend vom Waadtland – rasch, wobei die Schweizerische Landesausstellung im Jahr 1896 das ihre dazu beigetragen haben soll. Sie siedelte nämlich das Carnotzet mitten im Herzen des Schweizer Dorfes an. Dabei wurde suggeriert, dass das Carnotzet die Nachbildung einer waadtländischen Gaststätte sei. Ab 1900 eroberte das Carnotzet das Privatleben, ab den 1930er-Jahren ist es dann auch in öffentlichen Einrichtungen zu finden. Einen durschlagenden Erfolg erlebte das Carnotzet dann anlässlich der Schweizersichen Landesausstellung im Jahr 1939. Erstaunlicherweise wurde in der Ausstellung das Carnotzet nicht für die Waadt realisiert, sondern im Pavillon des Wallis aufgestellt.

Die Gleichsetzung des Carnotzets mit einem Weinkeller ist den Wallisern zuzuschreiben. Vielleicht sei es darum gegangen, die sich gerade entwickelnde touristische Identität des Wallis durch die Präsentation als Weinregion zu stärken, vermutet Bruno Corthésy, der eine „Kurze Geschichte des Carnotzets“ verfasst hat. Tatsache ist, dass der Kanton Wallis ab der Mitte des vorigen Jahrhunderts das Carnotzet als Markenzeichen beanspruchte, genau gleich wie etwa auch das Fondue.

Céline Eidenbenz, die Direktorin des Walliser Kunstmuseums, schwärmte: Die Atmosphäre und die Lichtverhältnisse im künstlerisch installierten Carnotzet seien wahre Highlights. Und diese Gemütlichkeit, die sich im zeitgenössischen Carnotzet erleben lässt! Es sei bequem, man möchte bleiben, einen Tee trinken oder sich in eines der Bücher aus dem Regal versenken. Ich meine: Tröstlich ist, dass auch moderne Carnotzets eine behagliche Atmosphäre verströmen. Sogar das als Kunstobjekt installierte Carnotzet des jungen Walliser Künstlers Eric Philippoz.

Text und Foto: Kurt Schnidrig