Mit Liebe von Hand geschrieben

Haben Sie Ihre Neujahrskarte von Hand geschrieben? Nein? Dann haben Sie etwas verpasst. Sie haben darauf verzichtet, dass Ihre Neujahrsgrüsse beim Empfänger als besonders originell, liebevoll und exquisit wahrgenommen worden wären. Inmitten der vielen digitalen Neujahrsgrüsse, die in diesen Tagen  per WhatsApp, per SMS, oder per E-Mail Ihr Smartphone verstopft haben, wäre Ihre handgeschriebene Karte ein absolutes Highlight gewesen. Von Hand schreiben ist wieder in Mode gekommen. Denn je mehr wir mit Tastaturen arbeiten, desto exklusiver wirkt die Handschrift.

Persönlich schreibe ich vieles von Hand. Während andere lange in ihrem Smartphone blättern um nach einem Termin zu suchen, zücke ich mein Agenda-Büchlein und bin damit zeitlich unschlagbar. Meine Agenda ist auch noch nie abgestürzt und Daten sind auch keine gelöscht worden. Natürlich schreibe ich auch vieles mit meinem Laptop oder auf meinem iPhone. Viele schriftliche Kontakte funktionieren besser per E-Mail oder per WhatsApp. Und natürlich haue ich auch diesen Literatur-Blog mit schöner Regelmässigkeit in die Tasten. Genau so wie die vielen Bücher-Rezensionen, die wissenschaftlichen Abhandlungen und die literarischen Beiträge, die ich tippe.

Mein liebstes Arbeitswerkzeug aber sind meine „Paperblanks“. Das sind wunderschöne Bücher mit geschmackvollem Cover, aber mit leeren weissen Seiten. In meine Paperblanks schreibe ich, skizziere ich, entwerfe ich, projektiere ich, alles von Hand und mit Bleistift. Nehme ich eines meiner Paperblanks aus dem Regal, dann erinnere ich mich beim Betrachten meiner Schriftzüge ganz genau an die Situation, in der das Manuskript entstanden ist. Denn wie ich etwas geschrieben habe, sagt fast ebenso viel aus wie das, was ich geschrieben habe. Von Hand schreiben hat etwas Magisches an sich.

Kürzlich erreichte mich eine handgeschriebene Karte von Hannes Stricker (Bild). Er hat ein Wanderbüchlein über das Oberwallis geschrieben. Ach, was sage ich, nicht nur von Hand geschrieben, er hat mehr als zwei Jahre daran gearbeitet: er hat nicht nur rekognosziert und recherchiert, nein, er hat auch noch aquarelliert, gezeichnet und skizziert – alles von Hand. Der Bildband „Oberwallis erwandern und erleben“ beeindruckt damit auch als Kunstwerk. Im wunderschön  aufgemachten Büchlein finden sich auch 180 handgemalte Aquarelle. Die Kapelle auf der Bettmeralp zum Beispiel, oder das Weisshorn mit dem Turtmanngletscher, das „Aletschji“ mit den Schafen und noch viele andere Motive. Passend zu den 42 Wanderungen hat Hannes Stricker die Zeiten genau berechnet und er hat Panoramen und Höhenprofile gezeichnet, Karten gemalt, Flussläufe und Viadukte eingezeichnet und zu jeder Wanderung tischt er uns auch noch Anekdoten und Fakten auf.

Mit Liebe von Hand geschrieben ist das wunderschöne Büchlein „Oberwallis erwandern und erleben“. Das Wandern ist die faszinierende Passion des Autors Hannes Stricker. In Zusammenarbeit mit seiner Frau Lisbeth sind wahre (handgefertigte) Kostbarkeiten entstanden. Sie machen uns aufmerksam auf die vielen botanischen, kulturellen und kulinarischen Höhepunkte unserer Region. Ein Beispiel gefällig? Gerade jetzt zur Winterszeit ist das Obergoms ein toller Geheimtipp. Hannes Stricker schreibt: „sehr schneesicher, nicht verunstaltet mit modernen Hotelkästen und bescheiden mit den Preisen. Es ist echt gemütlich hier: Überall hat’s Beizen und die nächste Bahnstation ist nie weit entfernt. Die Winterwanderwege sind gut ausgeschildert und hervorragend präpariert.“ Die Handschrift sagt auch viel aus über die Persönlichkeit des Autors.

Die Graphologie ist die Lehre von der Handschrift als Ausdruck des Charakters. Aus der Handschrift lässt sich auf bestimmte Bereiche der Persönlichkeit schliessen. Die Graphologie ist eine Methode der Psychodiagnostik. Die Aussagekraft der Graphologie wird heute kontrovers diskutiert. Sowohl Gegner wie Befürworter können sich auf fundierte Studien berufen. Nach heutigem Forschungsstand lässt sich der Zusammenhang zwischen Handschrift und Persönlichkeitsmerkmalen nicht wissenschaftlich belegen. Aktuell steht die computergestützte Graphologie zur Debatte. Dabei werden die Handschriftenmerkmale durch eine ausgebildete Person ausgewertet und in ein Computerprogramm eingegeben. Nur knapp 3 Prozent der Unternehmen ziehen ein graphologisches Gutachten bei, um eine zusätzliche Entscheidungshilfe bei der Auswahl von Kandidaten zu haben. Das Persönlichkeitsrecht verbietet es, in der Arbeitswelt umfassende Persönlichkeitsprofile zu erstellen.

Schreiben oder tippen? Mit Liebe von Hand geschrieben kann für die persönliche Korrespondenz ein Gewinn sein. Bei der formellen, rein beruflichen oder geschäftlichen Korrespondenz ist von Fall zu Fall abzuwägen, ob die Handschrift exklusiv, originell oder vertrauensbildend wirken soll und kann.

Text und Foto: Kurt Schnidrig