Ein mental stabiles Genie

Enthüllungsbücher sind im Trend. Und dies trotz all dem digitalen Medienfirlefanz. Wer etwas auf sich hält, der schreibt ein Buch, oder der lässt eines schreiben. Oder der profitiert zumindest davon, dass ein früherer Freund und Weggefährte ein Enthüllungsbuch schreibt. So wie US-Präsident Donald Trump, dem es gelingt, die Anschuldigungen seines früheren Freundes zur eigenen Glorifizierung umzumünzen. Das neueste Enthüllungsbuch kann den US-Präsidenten nicht erschüttern. Im Gegenteil. Das Enthüllungsbuch „Fire and Fury“, das heute Montag offiziell erscheint, lässt die Beliebtheitswerte des US-Präsidenten wieder in Richtung 45 Prozent hochschnellen, deutlich mehr als die 35 Prozent vor Jahresfrist. Damals war ich in New York und durfte als Besucher die Stimmung im Land miterleben (Bild).

Donald Trump ist ein mental stabiles Genie. Mit diesen Worten rühmte er sich selbst am vergangenen Samstag auf Twitter. Genial ist zumindest, wie es ihm gelingt, die Demontage seines ehemaligen Freundes Steve Bannon in Buchform zum eigenen Vorteil umzuwandeln. Seine Verteidigungsstrategie geht voll auf. Seine Strategie ist zwar nicht neu, aber sie funktioniert. Genial ist, wie der US-Präsident dem Vorwurf entgegentritt, er sei psychisch unstabil und durch sein Amt intellektuell überfordert. „Ich entwickelte mich von einem sehr erfolgreichen Geschäftsmann zu einem Top-TV-Star und bis zum Präsidenten der Vereinigten Staaten, und dies beim ersten Versuch“, twitterte Donald Trump am vergangenen Wochenende. Noch Fragen? Müssten wir nicht alle Donald Trump auf Grund des Erreichten eine gewisse Genialität zusprechen? Hat er es nicht doch tatsächlich geschafft, den früheren amerikanischen Traum, den „American Dream“, neu zu beleben?

Das Enthüllungsbuch „Fire and Fury“ des Autors Michael Wullf lässt die ungelösten Probleme von Donald Trumps Regierungszeit in den Hintergrund rücken. Das Enthüllungsbuch spielt einzig dem Sonderermittler Robert Mueller in die Hände, der einige zusätzliche Informationen für seine Untersuchungen zur russischen Einmischung bei den Präsidentenwahlen erhält. Ansonsten lenkt der Buch-Bestseller die Debatte weg von der aktuellen Politik hin auf das Parkett der Promi-News. Wir erfahren aus dem Buch, dass Trump im Bett gerne Cheeseburger konsumiert und dass er niemals mit seinem Wahlsieg gerechnet habe. Doch das haben andere und bessere Enthüllungsbücher schon längst berichtet.

Fabriziert Donald Trump lediglich eine bombastische Show? Oder hat er auch eine politische Agenda? Die Publikationsmaschinerie zum Thema Donald Trump hat vor Jahresfrist viel bedeutsamere Bücher hervorgebracht, als dies das aktuelle Buch „Fire and Fury“ ist. Brendan Simms, Historiker in Cambridge, und Charlie Laderman, Historiker am King’s College London, haben bereits zum Amtsantritt von Donald Trump ein sehr fundiertes Enthüllungsbuch herausgebracht. Es trägt den Titel „Wir hätten gewarnt sein können“. Darin monieren die Autoren, dass es die Trump-Kritiker versäumt hätten, sich ernsthaft mit Trumps Weltbild zu befassen.

Wir hätten gewarnt sein können. Mit dem gleichnamigen Buch wiesen Simms und Laderman bereits vor einem Jahr darauf hin, dass von Donald Trump weniger eine Gefahr für die USA ausgehe, als für den Rest der Welt. Im Inland werde Donald Trump von einer widerstandsfähigen Zivilgesellschaft und von einem robusten System von checks-and-balances in Schach gehalten. Weitaus grösseren Handlungsspielraum habe der US-Präsident in der Aussenpolitik.

Tatsächlich wird die „übrige Welt“ die Auswirkungen des „mental stabilen Genies“ vermehrt zu spüren bekommen als die Amerikaner selbst. Dies haben beispielsweise die Palästinenser kürzlich schmerzlich erfahren müssen, als Trump das seit Jahrhunderten umkämpfte Jerusalem faktisch zur Hauptstadt Israels erklärte.

Text und Foto: Kurt Schnidrig