Es schläft ein Lied in allen Dingen

Gibt es da noch irgendwelche unerreichte Ziele und unerfüllte Träume? Zu Beginn des noch jungen Jahres kann es schon mal sein, dass man sich die Frage stellt, wie es denn nun weitergehen soll. Einiges hat man erreicht, einiges fehlt noch. Es braucht neben der Logik auch die Intuition und neben der Vernunft auch die Mystik und die Magie. Moderne Philosophen wie Charles Taylor stellen fest, dass sich viele Menschen heute nach einer Transzendenz sehnen. Unsere heutige Welt krankt daran, dass uns Erfahrungen fehlen, die über die Grenzen unserer Vernunft und Logik hinausgehen. In unserer durchrationalisierten Welt machen sich immer mehr spirituelle Sinnsucher bemerkbar.

Es braucht eine ganzheitliche Weltanschauung, um ein erfülltes Leben führen zu können. Das Bedürfnis nach einem tieferen Sinn, nach Orientierung und nach sicheren Werten ist bei vielen Zeitgenossen spürbar. Viel zu lange haben wir uns in einer rein materialistischen Welt bewegt. Der Physiker Fritjof Capra hat diese verloren gegangene Weltanschauung mit Worten wie organisch, ganzheitlich und ökologisch charakterisiert.

Die Spiritualität kommt in unserer heutigen Welt zu kurz. Im Zuge der Aufklärung wurde die Spiritualität aus der Wissenschaft abgespalten. Man wandte sich einzig den exakten Naturwissenschaften zu. Alles, was sich nicht exakt naturwissenschaftlich definieren liess, wurde für ungültig erklärt. Der rein aufs Wissenschaftliche ausgerichtete Mensch landet jedoch mit seinem mechanistischen Konzept oftmals in einer Sackgasse. Seit dem Mittelalter sind viele spirituelle Praktiken als Magie und als Aberglauben verteufelt worden. Gemäss dem Philosophen Charles Taylor gibt es trotzdem immer weniger Menschen, die an einen persönlichen Gott glauben, aber immer Menschen, die ihr Leben nach einer unpersönlichen Kraft ausrichten.

Die Esoterik ist in Verruf geraten. Der Begriff Esoterik hat einen negativen Touch, weil sie uns heute nicht selten in der Gestalt von profitsüchtigen Gurus begegnet. Dabei ist Esoterik lediglich das Wissen um Energien, über die wir alle in irgendeiner Form verfügen. Der Begriff „Esoterik“ lässt sich vom Griechischen „esoterikos“ herleiten, das bedeutet: innen, verborgen, geheim, nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. So gesehen, ist Esoterik alles, was uns antreibt, was uns motiviert, was uns bewegt. Vielen fehlt heute die Gabe, in sich hineinzuhorchen und diese versteckten Kräfte und Motivationen zu mobilisieren. Vieles schlummert in unserem Unterbewussten und wartet nur darauf, aktiviert zu werden. Für uns Literaten ist dies die verborgene Poesie dieser Welt.

Eichendorff fand in seinem Gedicht „Wünschelrute“ eine Metapher für die verborgene Poesie, die in uns allen steckt: „Schläft ein Lied in allen Dingen / Die da träumen fort und fort, / Und die Welt hebt an zu singen / Triffst du nur das Zauberwort.“

Die Astrologie gehört zur Esoterik. Dennoch gilt sie zumindest als hilfreich, wenn es darum geht, wichtige Entscheidungen zu treffen. Mit dem Geburtshoroskop lässt sich eine sehr tief gehende Analyse der Persönlichkeit erstellen, sagt Monica Kissling im Buch mit dem Titel Madame Etoile, wie werde ich glücklich?, das im Verlag wörterseh erschienen ist. Im Horoskop lassen sich verborgene Talente entdecken und Anlagen, die nach aussen nicht sichtbar sind. Wie Monica Kissling berichtet, wird nach einer Horoskop-Betrachtung nicht selten jemand motiviert, endlich ein Talent zu verwirklichen, das in ihm schlummert. Es geht darum zu werden, wer man ist, präzisiert die Astrologin.

Im Horoskop können wir (vielleicht) sehen, in welcher Lebensphase wir uns befinden, welche Erfahrungen anstehen und wie wir am besten damit umgehen können. Eine erfahrene Astrologin wie Monica Kissling verlangt von ihrem Publikum aber auch einen gewissen Realitätssinn. In ihrem Buch schreibt sie, das Publikum müsse wissen, dass niemand die Zukunft mit Sicherheit vorhersagen könne, das liege einfach in der Natur der Sache. Es sollte aber so sein, dass ein Fachmann, der über zusätzliche Informationen und Erfahrung verfüge, mehr sagen könne als ein Laie, lässt sich Kissling zitieren.

Persönlich liess ich mir kürzlich von einer lieben Kollegin die Karten legen. Sie ist Künstlerin und verfügt über viel Intuition und Menschenkenntnis. Was sie aus den Karten las und was sie mir erklärte, überraschte mich sehr. Alles stimmte perfekt und zu hundert Prozent. Wie kann das sein? Ich glaube, dass es dazu keine übersinnlichen Fähigkeiten braucht. Eine gute Kartenlegerin oder eine gute Astrologin verfügt über viel Erfahrung im Umgang mit Menschen, sie braucht auch psychologisches Geschick und eine gute Kommunikationsfähigkeit. In die Zukunft eines Menschen zu blicken erfordert viel Denkarbeit, man muss analysieren und kombinieren können.

Und ja, ein klein wenig Mystik und Magie darf auch dabei sein. Mathematische und wissenschaftliche Formeln allein können dem Menschen nicht ein erfülltes Leben schenken. Wer ein ganzheitliches Leben führt, hat es auf der Suche nach dem Sinn des Lebens bedeutend einfacher. Dies ist vielleicht eine romantische Weltanschauung. Doch was spricht dagegen? Novalis, der Dichter der Romantik, hat diesen Sachverhalt in ein Gedicht gekleidet:

Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren / Sind Schlüssel aller Kreaturen / Wenn die, so singen oder küssen, / Mehr als die Tiefgelehrten wissen, / Wenn sich die Welt ins freie Leben / Und in die Welt wird zurück begeben, / Wenn dann sich wieder Licht und Schatten / Zu echter Klarheit werden gatten, /  Und man in Märchen und Gedichten / Erkennt die wahren Weltgeschichten, / Dann fliegt vor Einem geheimen Wort / Das ganze verkehrte Wesen fort.

Text und Foto (Symbolbild): Kurt Schnidrig