Geheimnisvolle Doppelgänger

Jeder Mensch hat einen Doppelgänger. Manchmal ist der Doppelgänger eine lebende Person. Der Doppelgänger kann aber auch eine transparente Erscheinung sein. Der Doppelgänger kann sogar die Person sein, die wir erst in ein paar Jahren sein werden. Es kann sogar sein, dass unser Doppelgänger schon an einem Ort gewesen ist, zu dem wir erst noch hinreisen wollen. Es gibt auch Doppelgänger, die immer erst dann auftauchen, wenn wir in Gefahr sind. Für alle diese Erscheinungsformen gibt es Beispiele in der Literatur. Im aktuellen Roman von Peter Stamm begegnet eine Person ihrem jüngeren Ich.

Lena hat eine Doppelgängerin, die vor zwanzig Jahren gelebt hat. Von ihr erzählt der Schweizer Schriftsteller Peter Stamm in seinem neuen Roman. Der jetzige Geliebte von Lena hat auch schon ihre Vorgängerin geliebt, die vor zwanzig Jahren gelebt hatte. Dies hat zur Folge, dass Christoph das Leben seiner jetzigen Geliebten haargenau kennt. Er kennt es von Lenas Doppelgängerin, die vor zwanzig Jahren gelebt hat. So weiss Christoph bis in alle Einzelheiten, was alles seine Lena in Zukunft noch erwartet. Das eigene Leben nochmals leben – soll man sich das wünschen? „Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt“ von Peter Stamm gibt uns Rätsel auf.

Psychologen definieren Doppelgänger als Erscheinungen einer lebenden Person, die mit der realen Grösse der betreffenden Person übereinstimmt. Diese Erscheinungen sollen normalerweise transparent sein, zuweilen sollen sie auch in blassen Farben sichtbar sein. Viele Zeugen schildern, dass Doppelgänger meist in der Dämmerung oder gar spät in der Nacht auftreten. Auch wer unter Stress steht oder unter Übermüdung leidet, sieht seinen Doppelgänger des öfteren.

Doppelgänger lassen uns in die Zukunft blicken. Davon erzählte bereits Johann Wolfgang von Goethe. Als der Dichterfürst einst von einem Besuch bei einem Freund im Elsass nach Hause ritt, begegnete er seinem Doppelgänger, der einen graugoldenen Anzug trug. Als Goethe acht Jahre später auf dem Weg zu seinem Freund erneut an dieser Stelle vorbei kam, machte er eine haarsträubende Entdeckung: Er selber, Goethe, trug denselben graugoldenen Anzug wie sein Doppelgänger damals vor acht Jahren. Goethe, der keineswegs abergläubisch war, schloss daraus, dass ihm sein Doppelgänger einen Blick in die Zukunft gewährt hatte.

Der früheste aufgezeichnete Zwischenfall mit einem Doppelgänger geht bis ins vierte Jahrhundert vor Christus zurück. Der griechische Philosoph Aristoteles schreibt von einem Mann, der nicht ein einziges Mal alleine einen Spaziergang machen konnte, ohne dabei seinen Doppelgänger anzutreffen.

Doppelgänger können schneller sein als wir selbst. Der Zeuge Erikson Gorique aus New York unternahm eine Geschäftsreise nach Oslo. Als er an der Hotelrezeption einchecken wollte, wurde ihm beschieden, dass sein Doppelgänger bereits da war. Der Doppelgänger war ihm vorausgeeilt und hatte nicht nur mit Hotelangestellten gesprochen, sondern sogar geschäftliche Telefonate geführt.

Doppelgänger dienen auch der bewussten Irreführung. Im Zweiten Weltkrieg wurden ganz bewusst lebende Doppelgänger eingesetzt, sowohl von den Achsenmächten als auch von den westlichen Alliierten. Der britische Schauspieler M.E. Cliftonjames soll in der Öffentlichkeit oftmals General Montgomery vertreten haben, so dass der echte Montgomery seine Streitkräfte an einem geheimen Ort auf die Invasion in der Normandie vorbereiten konnte. Und als Hitler-Stellvertreter Rudolf Hess im Mai 1941 von rivalisierenden Nazis ermordet worden war, wurde er von einem Stellvertreter ersetzt, der später sogar als Rudolf Hess ins Gefängnis ging, um dessen Strafe abzusitzen.

Eine verrückte Doppelgänger-Geschichte erzählt auch der Amerikaner Gordon Barrows. Nach einer 18-stündigen Fahrt durch die Wüsten des Staates Wyoming lief er Gefahr, vor Erschöpfung am Steuer einzuschlafen. Da wartete sein Doppelgänger als Anhalter auf ihn. Der Anhalter war sein perfektes Ebenbild. Der Doppelgänger setzte sich ans Steuer, damit Barrows ein wenig schlafen konnte. Als Barrows nach Stunden wieder aufwachte, war sein Auto am Strassenrand geparkt und sein Doppelgänger sass noch wortlos hinter dem Lenkrad. Barrows bedankte sich, dann verschwand der Doppelgänger wortlos in der Wüste.

Hatten auch Sie schon eine Begegnung mit Ihrem Doppelgänger? Mit Ihrem eigenen Doppelgänger oder vielleicht mit dem Doppelgänger einer Person, die Sie kennen?  Der Schriftsteller Peter Stamm erzählt kommende Woche in Brig von einem Mann, dessen jetzige Geliebte Lena er schon vor zwanzig Jahren in einer anderen Person als Doppelgängerin geliebt hatte. Das ist zweifellos eine komplizierte Geschichte.

Doppelgänger-Geschichten können aber auch sehr praktische und zweckdienliche Geschichten sein. Besonders dann, wenn es um Doppelgänger in der Liebe geht. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.

Text und Foto (Symbolbild): Kurt Schnidrig