Zwei Seelen zu Ostern

Was eigentlich ist der Sinn von Ostern? Ich halte es mit Goethes Doktor Faust. Aus der Tragödie Faust I stammt das Zitat: „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust, die eine will sich von der anderen trennen.“ Was aber sind das für zwei Seelen in der Brust? Entweder man glaubt an das Auferstehungswunder des Osterfestes. Oder man betätigt sich als Bücherwurm und kommt zur Erkenntnis, dass der kirchliche Glaube und die Osterbotschaft reichlich märchenhaft sind. Um mit Doktor Faustus zu sprechen: „Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube“.

Gefühlsmässig und wunschhaft haben wir alle – wie damals Doktor Faust – ein „christliches Verständnis“ vom Osterfest, das aber immer mehr vernachlässigt wird. Wie damals bei Doktor Faust, ist in diesem Fall der Gang in die Studierstube angesagt. In der Nacht vor Ostern grübelte Faust in seiner Studierstube über den Sinn des Daseins und über den Sinn des Osterfestes. Ich habe es Faust gleichgetan, und habe mich in eine riesige Bücherei zurückgezogen (Bild). Dort bin ich fündig geworden. Was bedeutet eigentlich Ostern?

Lässt sich „Ostern“ mit „Morgenröte“ übersetzen? Es gibt heute viele, die gerne populäre Bücher schreiben. Das heisst, sie schreiben, was das Volk gerne hören möchte. Nun wäre es ja wunderschön romantisch, wenn Ostern sich mit Morgenröte übersetzen liesse. Schliesslich beginnt an Ostern die Frühlingszeit, und die wird ja gerne auch als Neuanfang und als Neubeginn verstanden. Pseudowissenschaftler sind niemals um eine Erklärung verlegen. Sie verbinden das Wort „Ostern“ mit dem Wort „Osten“. Das deutsche Wort „Osten“ gehöre zusammen mit lateinisch auster „Südwind“, altslavisch zaustra „Morgen“ zu einem Wortfeld, das unter den Oberbegriff „Morgenröte“ subsumiert werden könne, lateinisch Aurora, griechisch Eos. Das haben Populärwissenschaftler nun jahrzehntelang behauptet. Doch kann „Ostern“ unmöglich „Morgenröte“ heissen. Denn dabei handelt es sich um eine falsche Übersetzung aus dem Lateinischen. Und ein äusserst stichhaltiges Argument gegen diese Übersetzungs-Stümperei ist das Folgende: Für das Osterfest ist nicht der Morgen, sondern die Nacht (Osternacht) entscheidend.

Auch die Göttin Ostara ist eine Erfindung. Die Deutschen stehen seit jeher auf Göttinnen aller Art. Wie schön hätte doch eine Göttin zum Osterglauben gepasst! Leider war in der germanischen Mythologie keine taugliche auffindbar. Warum sich also nicht einfach eine Göttin erfinden? Schliesslich kann man sich dabei auf einen angelsächsischen Geschichtsschreiber und Theologen (!) stützen. Der hiess Beda und ist schon um 735 gestorben. Also wird sich der gute alte Beda bestimmt nicht mehr wehren, dachten sich die  Deutschen, und haben dem wehrlosen Beda eine Göttin untergeschoben. Um genau zu sein: Der alte Beda vertrieb sich die Zeit mit Wort-Spielereien. So schaffte er es spielend, den altenglischen Namen Eosturmonath von einer nicht existenten Göttin abzuleiten. Die Deutschen fanden schnell einen Namen für die nicht-existente Göttin, sie dichteten ihr den Namen Ostara an. Das tönt ja irgendwie nach Ostern und nach Göttin. Mehr aber nicht. Alles nur konstruiert, erdichtet und erlogen. Wissenschaftlich unhaltbar.

Ein Deutscher rettet die Ehre der Deutschen. Dem in Deutschland grassierenden Deutungs-Blödsinn in Zusammenhang mit „Ostern“ tritt nun ausgerechnet ein Deutscher entgegen. Es ist dies der deutsche Professor Dr. Jürgen Udolph. Er ist Sprachwissenschaftler an der Universität Göttingen. Gäbe es auch für wissenschaftliche Arbeiten eine „Hall of Fame“, oder in diesem Fall eine „Ruhmeshalle“, dann müsste man dem Professor Dr. Jürgen Udolph dort ein Denkmal errichten. In seinem Buch „OSTERN – Geschichte eines Wortes“ kann er nach 125 Seiten knallharter wissenschaftlicher Analyse das Geheimnis hinter dem Wort „Ostern“ lüften. Ostern heisst nichts anderes als … na?

Ostern heisst Begiessen. Wie kam Prof. Dr. Udolph zu diesem Ergebnis? Der Professor ging etymologisch einen anderen Weg. Nordgermanische Sprachen kennen eine Wortfamilie, die sprachlich zu Ostern passt: anord. ausa „(Wasser) schöpfen, giessen“, austr. „Begiessen“. Eine heidnische Form der Taufe samt Namengebung der Neugeborenen wurde als vatni ausa („mit Wasser begiessen“) bezeichnet. Die Pluralform des Osterwortes erklärt sich aus dem dreimaligen Begiessen des heidnischen Täuflings mit Wasser.

Die christliche Kirche zauberte also Ostern aus dem Hut. Vieles, was heute in den christlichen Kirchen als unverrückbar und dogmatisch angesehen wird, ist in Wahrheit wohl heidnischen Ursprungs. So auch die Verdrängung des heidnischen Frühlingsfestes durch das christliche Ostern. Passend dazu auch der Höhepunkt des Osterfestes in der Nacht und der Übergiessritus. All dies stimmt mit der Etymologie überein, leider aber nicht mit der christlichen Lehre von Ostern.

Trotz der wissenschaftlichen Ernüchterung bezüglich der Bedeutung des christlichen Osterfestes, schlummert dennoch eine metaphysische Sehnsucht nach Glockenklang, Chorgesang und Auferstehungswunder in mir. Zusammen mit Goethes Figur des Doktor Faustus möchte auch ich ausrufen: Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust, die eine (wissenschaftliche) will sich von der andern (christlichen) trennen.

Text und Foto: Kurt Schnidrig