Warum Grossprojekte scheitern

Das Grossprojekt „Sion 2026“ droht zu scheitern. In den Lagern der Befürworter und der Gegner von Grossprojekten ereignen sich immer wieder dieselben Pannen. Der deutsche Politikwissenschaftler Nils Bandelow hat untersucht, weshalb Grossprojekte scheitern. Zwar hat er seine Studien erarbeitet für grosse Projekte in Deutschland. Seine Studien können jedoch genauso zutreffend begründen, weshalb „Sion 2026“ grosse Gefahr läuft, grandios zu scheitern.

Grossprojekte scheitern, weil sie eskalieren. Manche Projekte sind von Beginn an konfliktträchtiger. Wenn es um Militär, Atomkraft oder Gentechnik geht, eskaliert die Diskussion meistens sehr schnell. Weniger umstritten sind Vorhaben, bei denen es um Bahntechnik oder Flugverkehr geht. Das heisst aber nicht, dass Bahnprojekte nicht eskalieren können. In Deutschland eskalierte das Bahnprojekt „Stuttgart 21“ derart, dass es in Strassenschlachten ausartete. Grossprojekte eskalieren, wenn stark ideologisierte Gruppen beteiligt sind.

Was ist für alle das Beste? Diese Frage entzweit das Prolager und die Gegner. Es gibt keine Lösung, die objektiv für alle die Beste ist. Sowas funktioniert nur in der Theorie. In der Praxis haben die von einem Projekt betroffenen Bürgerinnen und Bürger komplett verschiedene Auffassungen und Denkweisen. Meistens scheitert ein Grossprojekt daran, dass man glaubt, die Betroffenen möglichst gut informieren zu müssen. Man möchte noch genauere Kosten-Nutzen-Berechnungen anstellen. Das sei absolut kontraproduktiv, kommt der Wissenschaftler Bandelow zum Schluss. Die Kostenkalkulationen liegen oft meilenweit entfernt von der Wirklichkeit. In Deutschland sind Grossprojekte wie die Elbphilharmonie oder das Bahnprojekt Stuttgart 21 an der Kostenkalkulation gescheitert. Bei uns droht „Sion 2026“ dasselbe Schicksal.

Das Vertrauen in die Politik ist entscheidend. Die Studien des Wissenschaftlers Bandelow zeigen: Bürgerinnen und Bürger, die grundsätzlich zu den Institutionen Vertrauen haben und sie für legitimiert halten, winken derartige Grossprojekte eher durch. Sie tragen dann auch Entscheidungen mit, die sie selber so nicht getroffen hätten. Wenn es jedoch grundsätzlich an Vertrauen in die Politik mangelt, sind auch Grossprojekte in höchstem Masse gefährdet. Konflikte um Grossprojekte eskalieren häufig, weil eine grundsätzliche Vertrauenskrise vorhanden ist gegenüber dem Staat und seinen Repräsentanten.

Es besteht die Tendenz, die Gegenseite zu verteufeln. Häufig entwickeln sich Konflikte um Grossprojekte derart, dass sie nicht mehr rational sind. Es wird immer stärker emotionalisiert und personalisiert. Der Gegner wird verteufelt. Diese Haltung ist in der Fachliteratur als „devil shift“ bekannt. Der „devil shift“ beschreibt die Neigung, der Gegenseite eine fiese Böswilligkeit zu unterstellen. Umgekehrt lässt sich auch ein „angel shift“ feststellen. Die Motive, das Vorgehen und die Mittel der eigenen Seite werden überhöht und als optimal dargestellt. Sobald ein Konflikt eskaliert, verhalten sich die eigenen Leute wie Engel (angel) und die Gegenseite sind die Teufel (devil).

Man meint, dass die andere Seite Umfragen fälscht. Auf diesem Eskalations-Niveau ist zwei Wochen vor der Abstimmung auch das Grossprojekt „Sion 2026“ angekommen. Befürworter und Gegner eines Grossprojekts glauben, dass die jeweils andere Seite Wahlen fälsche und Umfragen türke, und dies mithilfe von illegitimer Unterstützung – während die eigene Seite diese betrügerische Hilfe nicht erhält. Auf das Grossprojekt „Sion 2026“ umgemünzt: 58 Prozent sollen gemäss den Umfragewerten gegen den Olympia-Kredit votieren. Ist die Umfrage getürkt? Wohl kaum. Denn – so lehrt der Wissenschaftler Bandelow – Misstrauen ist die Regel in eskalierenden Diskussionen um Grossprojekte. Der „devil shift“ sei ein innerpsychischer Vorgang und daher ein Phänomen, dem sich die gegnerischen Lager kaum entziehen können.

Text und Bild (Symbolbild): Kurt Schnidrig