25 Jahre Medienarbeit

25 Jahre Unwetterkatastrophe Brig. Sie markierte auch den Beginn meiner Zusammenarbeit mit dem Lokalsender rro. Aus Visp konnten keine Lokalreporter nach Brig gelangen, denn alle Wege und Stege waren geflutet und unterbrochen. Die Büros der Zeitung „Walliser Bote“ in der Briger Furkastrasse waren überschwemmt und unbrauchbar. Das Radio bot sich als einziges schnelles und funktionierendes Medium in der Krisensituation an. Damals arbeitete ich als Deutschlehrer am Oberwalliser Lehrerseminar im Institut St. Ursula in Brig. Vom Briger Bildungshügel bis zum Stockalperschloss war der Weg kurz und sicher vor Überschwemmungen. Dort, im Stockalperschloss, richteten wir ein mobiles Radiostudio ein. Von hier aus berichteten wir während Tagen und Nächten über die horrenden Ereignisse, die sich im Städtchen zutrugen.

In meinem Buch „wo träume flügel haben“ habe ich die Geschehnisse des 24. September 1993 festgehalten. Nachfolgend ein leicht gekürzter Auszug aus dem zweiten Teil dieses Buches, der mit „Geschichten aus dem pädagogischen Tagebuch“ übertitelt ist. Am Freitag, den 24. September 1993, versank die Stadt Brig in Schutt und Schlamm. Über Monate glich Brig einer Geisterstadt. Nachfolgend mein persönlicher Erlebnisbericht.

Kurz vor vier Uhr floss ein braunes Rinnsal durch die Briger Bahnhofstrasse. Dann plötzlich schwappte eine reissende Flutwelle über die Saltinabrücke, und der Fluss bahnte sich seinen Weg durch die Stadt. Die Wassermassen stauten sich am Bahnhof. Menschen standen bis zu den Hüften im Wasser. Autofahrer stürzten aus ihren Fahrzeugen und flüchteten in höher gelegene Stadtteile. Viele von uns verbrachten völlig unvorbereitet eine Nacht des Schreckens. Irgendwann in dieser Nacht fiel der Strom aus, das Telefonnetz brach zusammen. Die Briger Bahnhofstrasse, die noch Stunden zuvor in hellem und friedlichem Sonnenlicht zum Flanieren einlud, bot nun ein apokalyptisches Bild. Eine unheimliche Finsternis legte sich über die Stadt.

An diesem Tag unterrichtete ich im Oberwalliser Lehrerseminar, das im Institut St- Ursula, am oberen Ende der Briger Burgschaft, untergebracht war. Dort, auf dem „Briger Bildungshügel“, waren wir in Sicherheit. In weiser Voraussicht hatten wir die Schülerschaft bereits am frühen Nachmittag nach Hausse entlassen, denn die sintflutartigen Regenfälle verhiessen nichts Gutes. Bereits am frühen Abend blieb als einzige Verbindung zur Aussenwelt der Lokalsender Radio Rottu Oberwallis übrig, der von Visp aus das Oberwallis mit Informationen bediente. Inzwischen waren die Verkehrswege zwischen Brig und Visp gekappt. Die Reporter von Radio Rottu konnten die Stadt Brig nicht mehr erreichen.

In dieser Situation meldete ich mich bei rro zum freiwilligen Dienst. Es galt, die besorgte Bevölkerung landesweit mit Informationen zu versorgen. Zusammen mit dem freien Mitarbeiter Peter Schöpfer und einigen anderen Freiwilligen hielt ich den Sendebetrieb von Brig aus aufrecht. Im Obergeschoss des Stockalperschlosses richteten wir notfallmässig ein kleines Sendestudio ein. Wir berichteten rund um die Uhr. Es gab Ungeheuerliches zu berichten. Wie Nussschalen wurden Autos angehoben und weggeschwemmt. Das Überqueren der Strassen glich einem russischen Roulettspiel. Inmitten der tobenden Fluten blieb oft nur der nutzlose Versuch, den Schaden mit Brettern oder Möbelstücken einzudämmen. Das Unglück nahm seinen Lauf. Als es hell wurde, gab Brig ein Bild der Verwüstung ab.

In dieser Zeit entstand meine Sendung „Report“. Originalton, Interviews, Geräuschkulisse und Kommentare schnitt ich auf einem Spulentonband zusammen. Es war eine schwierige Arbeit unter harten Bedingungen. Zwar konnte ich von einer Medienausbildung am Journalistischen Institut der Universität Freiburg profitieren. Ich wusste, wie Krisenkommunikation zu funktionieren hatte. Und ich wusste auch, wie Beiträge und Sendungen zu gestalten waren. Dennoch war vieles ein „Learning by Doing“. Aber es war auch unglaublich faszinierend. Während der folgenden zwei Jahre reduzierte ich meine Unterrichtszeit am Oberwalliser Lehrerseminar um fünfzig Prozent. Das war für mich der Beginn eines ausserordentlich spannenden Abenteuers im Umfeld der Medien.

Als Redaktor und Informationschef war ich am Puls der Zeit. Ich stellte Nachrichtensendungen zusammen und sprach Kommentare. Die Report-Sendung, damals während der Unwetter-Katastrophe aus der Not heraus kreiert, behielt ich danach lange Zeit bei. Mit einem riesen Aufwand produzierten wir Report-Sendungen wie „Unterwegs mit der Air Zermatt“, „Gestrandet im Asylantenheim Visp“ oder „Versteckte Kinder im Oberwallis“. Das Lokalradio war neu als Medium, und die Rückmeldungen der Hörerinnen und Hörer zahlreich.

Mit zunehmender Professionalität wurden tagesaktuelle Beiträge und Hintergrundthemen von der Radio-Crew abgedeckt, so dass ich mich kulturellen Themen zuwenden konnte. Ich besuchte Kulturanlässe und besprach sie im eigenen „Kulturjournal“, oft auch unterlegt mit dem Originalton der Protagonisten. Da waren aber auch Sendungen wie das „Ofubankji“ oder der „Sommer-Gartenplausch“, die ich hin und wieder zusammen mit einer Kollegin moderieren durfte. Auch die angehenden Kindergärtnerinnen, die ich als Deutschlehrer am Oberwalliser Seminar unterrichtete, konnten von dieser Situation gewinnbringend profitieren. Sie schrieben, erzählten und spielten Geschichten für die Kindersendung „Ds Güetnachtgschitji“.

Meine Berufung als Hochschuldozent an die Fachhochschule Siders brachte neue Herausforderungen mit sich. Als Literaturkritiker und Rezensent im Literaturbetrieb wandte ich mich zudem nun mehr den schreibenden Medien zu. Geblieben ist jedoch die Faszination fürs Radio, für das gesprochene Wort. Mit der Sendung „Literaturwelle“ und als Literaturexperte bin ich mit den Radiomacherinnen und -machern verbunden geblieben. Es sind dies hoch interessante und spannende Persönlichkeiten, die mir in all den Jahren ans Herz gewachsen sind.

Medienarbeit als Work-Life-Balance? Medienarbeit ist harte Arbeit. Dennoch ist Medienarbeit für mich eine zweite Schiene, die es mir erlaubt, vor Ort und mit spannenden persönlichen Begegnungen immer wieder neue Inspirationen zu holen.

Text und Fotos: Kurt Schnidrig