Schriftsteller als Aktivisten

Sollen Schriftsteller demonstrieren? Ab wann genügt das Schreiben nicht mehr? Wann soll man als Schriftsteller auf die Strasse gehen? Der Schriftsteller Jonas Lüscher engagiert sich nicht nur mit literarischen Mitteln. Mit Gleichgesinnten geht er auf die Strasse, um für seine politischen Ideen zu kämpfen. Sein Engagement könnte zur Nachfolge animieren. Jonas Lüscher erhielt 2017 den Schweizer Buchpreis. Der 42-jährige  schweizerisch-deutsche Doppelbürger kämpft gegen den aufkeimenden Nationalismus und Rechtsextremismus. Und er setzt sich ein für ein solidarisches Europa, und insbesondere für eine Schweiz als Mitglied in der Europäischen Union.

Schriftsteller als politische Aktivisten. Schreiben kann man aus verschiedensten Motivationen heraus. Einige schreiben zur reinen Unterhaltung. Andere schreiben zu persönlichen Therapiezwecken. Wieder andere schreiben als Schöngeister kunstvolle Belletristik. Der Schriftsteller Jonas Lüscher gehört zu jenen Intellektuellen, die ihrem Unbehagen in heutiger Zeit mit politischem Engagement begegnen. Lüschers Novelle „Frühling der Barbaren“ ist eine Satire auf die Finanzkrise. Für sein Buch „Kraft“ hat er im vergangenen Jahr den Schweizer Buchpreis erhalten. Der Ideenroman führt von Deutschland ins Silicon Valley. Und jetzt also Lüschers Protest gegen den neu aufkeimenden Nationalismus, gegen den Rechtsextremismus und gegen die Gefährdung der Demokratie in Europa. Europa und die EU sollen zur gelebten Realität werden.

Engagement als Bürger zeigen sollten nicht nur Schriftsteller, vielleicht aber besonders Schriftsteller. Sie haben die Möglichkeit, in Geschichten und in bewegender Sprache die gesellschaftlich relevanten Themen zu vermitteln. Leider ist heute das öffentliche Demonstrieren in Verruf geraten. Dabei ist Demonstrieren primär das Ausüben von Bürgerrechten und eine Form von gelebter Meinungsfreiheit. Wenn viele Menschen für eine Idee auf die Strasse gehen, dann setzen sie ein Zeichen gegen eine Zeitströmung, die sie als verhängnisvoll erachten. Oder, wie im Fall von Jonas Lüscher, sie setzen ein starkes Zeichen für ein solidarisches Europa und für eine liberale Demokratie.

Demonstrationen in 50 europäischen Städten. Der Schriftsteller Jonas Lüscher weiss, wie man die Leute auf die Strasse holt. Als Jugendlicher bereits war er als Demonstrant unterwegs. Das war damals, als die GSoA noch für eine Schweiz ohne Armee kämpfte. Oder damals, als die Fichen-Affäre die Schweiz erschütterte. Und jetzt also hat sich der Schriftsteller Jonas Lüscher das ehrgeizige Ziel gesetzt, fünf Millionen Menschen zu mobilisieren. Auf seiner Website sind bereits 40 bewilligte Demonstrationen aus fast ganz Europa eingetragen, Weissrussland und Russland ausgenommen. Dort sei es unmöglich, offen zu demonstrieren, bedauert Jonas Lüscher. Im digitalen Zeitalter ist das Demonstrieren auf der Strasse eigentlich etwas Unzeitgemässes. Aber vielleicht sind Demonstrationen gerade deshalb wieder etwas Exklusives und Besonderes geworden.

Gehen die Demokratien unter? Was den Schriftsteller Jonas Lüscher zum Demonstranten werden lässt, das ist die politische Entwicklung in einigen Ländern der EU. In der Europäischen Union tummeln sich Länder wie Ungarn und Polen, die nicht mehr wirklich demokratisch sind, in denen etwa die Gewaltenteilung nur noch ansatzweise funktioniert. Und dann droht in einigen Ländern der Brexit. Und in deutschen Städten wie Chemnitz erhebt sich erneut das Gespenst des Rechtsextremismus aus den Trümmern. Dagegen steht Jonas Lüscher auf. Er tut dies als Literat, und er tut dies auch als Aktivist. Wollen wir verlieren, was wir in den letzten 150 Jahren erreicht haben? Wollen wir zulassen, dass andere unseren Sozialstaat untergraben, dass Minderheitenrechte und Frauenrechte zurückgestuft werden? Die Verhältnisse in der Türkei rufen nach Aktivisten. Dort sitzen mutige Medienleute, Künstler und Politiker im Gefängnis.

Von einem solidarischen Europa träumen Aktivisten wie Jonas Lüscher. Statt eines Rückfalls in überkommene Nationalismen schwebt Jonas Lüscher und seinen Unterstützern ein neu gestaltetes Europa vor. Geht es nach Jonas Lüscher und seinen Unterstützern, soll auch die Schweiz eine führende Rolle im neu gestalteten Europa spielen. Was die Schweiz der EU zu bieten hätte? Zum Beispiel ihre Erfahrung mit der direkten Demokratie, mit dem Föderalismus und ihren gelebten Alltag mit mehreren Sprachen und Kulturen.

Ein Engagement der Intellektuellen in Form einer langen Liste von Unterstützern hat der Schriftsteller bereits erreicht. Die Liste der Unterstützer umfasst 900 prominente Namen. Darunter sind weitere namhafte Literaten wie Peter Nadas, Robert Menasse, Peter Stamm und Adolf Muschg. Was sie alle frustriert, das ist das Folgende: Reden und Schreiben ist gut. Wenn es jedoch um die Installierung eines gerechteren Europa geht, reicht das nicht. Es ist zu einfach, sich im Internet zu outen und für eine Idee seine „Likes“ zu setzen. Es geht um mehr. Schriftsteller sollen zu Aktivisten werden. Sie sollen auf die Strasse gehen und die Menschen zu konkretem Engagement bewegen.

Text und Foto (Symbolbild): Kurt Schnidrig