Der Bezwinger der Lüfte

Nur gerade ein Jahrhundert ist es her, da schienen die Alpen noch unüberwindbar. Nur mutigen Alpinisten gelang die Kletterpartie über die Alpen. Und über die Alpen fliegen? Wer sich nur schon mit derartigen Ideen herumschlug, der galt als wahnsinnig, verrückt und anmassend. Im Jahr 1910 trug sich dennoch Unglaubliches zu. Mit einem Blériot XI Eindecker schaffte der Peruaner Geo Chavez die Überquerung der Alpen. Jetzt, gut hundert Jahre später, versuchte nun Raoul Geiger, die originale Flugstrecke von Geo Chavez nachzufliegen. Mit seinem Fluggerät namens „Archaeopterix“ überquerte Raoul Geiger im Stile von Geo Chavez die Alpen. Geiger betreibt in Ried-Brig, unmittelbar neben dem damaligen Start- und Landeplatz des legendären Flugpioniers Chavez, eine Flugschule. Anlässlich des Bergbuchfestivals konnte ich mich mit Raoul Geiger unterhalten.

Flugabenteuer damals und heute. Geo Chavez wurde 1910 als der Bezwinger der Lüfte gefeiert, obschon er in Domodossola bei der Landung verunglückte. Geo Chavez flog damals einen Blériot XI Eindecker, angetrieben von einem 50 PS-Gnôme-Rotationskolbenmotor. Mehr als 100 Jahre später hat sich diese Technik massiv entwickelt. Auch die Aviatik ist mittlerweile perfekter geworden, so nützen heute die Flugzeugbauer die Solarenergie und das leichte und trotzdem dauerhafte Karbon. Raoul Geiger flog die gleiche Strecke über den Simplon wie damals Geo Chavez. Sein Fluggerät zählt zu den Hängegleitern und ist bestückbar mit einem Elektromotor. Als Raoul Geiger vor wenigen Monaten die Flugstrecke von Geo Chavez nachflog, da konnte er von besseren Wetterbedingungen profitieren, als sie Geo Chavez vor gut hundert Jahren hatte. Raoul Geiger war aber auch dringend angewiesen auf ideale Bedingungen, denn er bezwang die Alpen mit Hilfe der Thermik. Sein Fluggerät zählt zu den Hängegleitern und ist bestückbar mit einem Elektromotor. Geo Chavez dagegen sass in einem sehr fragilen und baufälligen Flugapparat, und er musste den schlechten Wetterbedingungen Tribut zahlen.

Die Faszination des Fliegens ist bis heute geblieben. Wie mir Raoul Geiger verriet, habe ihn die 100-Jahr-Feier zu Geo Chavez in Ried-Brig extrem motiviert und fasziniert. Nur wenige Monate nach der Feier habe er in Ried-Brig ein Haus gekauft. In den folgenden Wochen habe er alles gelesen, was er über Chavez habe finden können. Raoul Geiger übernahm gar das Präsidium der Chavez-Stiftung. Die Verbundenheit mit Chavez‘ Geschichte und mit den damaligen Ereignissen haben ihn selber ebenfalls zum Abenteurer werden lassen.

Trotz der Faszination fürs Fliegen, fliegt auch immer die Angst vor einer Bruchlandung mit. Natürlich sei immer eine gewisse Nervosität und Anspannung da, gestand Raoul Geiger. Aber er habe sich für seinen Flug auf der legendären Chavez-Route über den Simplon bestens vorbereitet, so dass von Angst nicht die Rede sein könne. Natürlich sieht der Betrachter im Film, wie das Fluggerät von Raoul Geiger arg durchgeschüttelt wird. Der Eindruck täuscht jedoch. Obschon sich der Flug für einen laienhaften Betrachter recht wackelig anlässt, seien die Turbulenzen für den Piloten keineswegs einschüchternd. Wichtig sei aber immer, dass der Pilot das Wetter richtig beurteile, und dass er sich auf eine eingespielte „Task Force“ stützen könne, führte Geiger weiter aus.

Hatte Chavez damals zu viel Risiko genommen? Nun, es habe ja funktioniert, Chavez habe die erste Alpenüberquerung geschafft, resümiert Raoul Geiger. Was sich ganz zum Schluss ereignet habe, müsse wohl auf eine Materialschwäche zurückgeführt werden. Vielleicht habe Chavez damals bei der Landung zu viel Geschwindigkeit aufgenommen und den einen Flügel zu stark belastet, vermutet Geiger. Wenn Chavez besseres Wetter gehabt hätte, wäre er sicher lockerer geflogen und hätte zu einer sanften Landung ansetzen können, ist Raoul Geiger überzeugt.

Nun auf den Spuren von Hermann Geiger? Gerne möchte Raoul Geiger einmal in seinem Leben noch auf einem Gletscher landen. Sein Grossvater war ja der bekannte Gletscherpilot Hermann Geiger. Vielleicht fliegt Raoul Geiger demnächst einen der legendären Flüge des Gletscherpiloten Hermann Geiger nach. Hermann Geiger (1914 – 1966) war ein Walliser Rettungsflieger von Weltruf und ein Pionier des Gletscherflugs. Er gilt als der Erfinder einer Landetechnik für Schneehänge, um in Not geratene Berggänger zu retten. Hermann Geiger führte im Hochgebirge über 600 Rettungseinsätze mit seiner einmotorigen Piper PA-18 durch. 1966 verunglückte er tödlich, als er zusammen mit einer Flugschülerin bei der Landung mit einem Segelflugzeug kollidierte.

Text und Fotos: Kurt Schnidrig