Ins Schwarze getroffen!

Der Schweizer Buchpreis geht an Peter Stamm! Peter Stamm gewinnt mit seinem nur 156 Seiten starken Roman „Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt“. Die Jury hat dieses Jahr ins Schwarze getroffen. Und auch ich habe für einmal ins Schwarze getroffen, mit meiner Prognose nämlich. Sowohl in meinem Blog vom 6. November als auch in meinen Literaturbeiträgen im Radio habe ich Peter Stamm in Front gesehen. Obschon ich die Literaturszene mittlerweile recht gut zu kennen glaube, kam mir dieses Jahr entgegen, dass die Jury erstmals die literarischen Werke als einzige Quelle betrachtete. Sie hatte den übrigen Trägerschaften und Sponsoren konsequent die Mitbestimmung entzogen.

Der Geschäftsführung die Mitbestimmung entzogen. Die Branche hat auf die massive Kritik des vergangenen Jahres reagiert und die Trägerorganisationen und Sponsoren von einer Mitentscheidung ausgeschlossen. Der ehemalige Preisträger Lukas Bärfuss hatte in einem Beitrag in der „FAZ“ sogar die Abschaffung des Schweizer Buchpreises gefordert. Verschiedene Trägerschaften und Sponsoren würden sich in die Jurydiskussion einmischen, um leicht verkäuflichen Büchern einen Vorteil zu verschaffen, monierte er. Nun haben die Veranstalter eine Statutenänderung vorgenommen. Neu heisst es jetzt darin: „Die Geschäftsführung ist an den Jurysitzungen als Beisitzerin für administrative Aufgaben ohne Stimmrecht anwesend. An den inhaltlichen Diskussionen über die Auswahl der Bücher für die Shortlist und den Preis beteiligt sie sich nicht.“ Diese Statutenänderung ist bestimmt mit ein Grund, dass dieses Jahr „der Richtige“ aus der Shortlist gewonnen hat.

Die Begründung der Jury liest sich etwas abstrakt und konstruiert: „Peter Stamm führt uns in ein virtuos konstruiertes Labyrinth, in dem wir uns glücklich verlieren“, begründet die Jury ihren Entscheid. Peter Stamm habe einen vielschichtigen Doppelgänger-Roman geschrieben, in dem sich zwei Künstlerpaare spiegelten. Und Christine Richard gab sich in ihrer Laudatio rätselhaft und plakativ: „Andere Bücher haben eine Handlung. Hier ist die Handlung das Buch; nichts sonst“. Sie versuchte damit auf den Punkt zu bringen, was sich jeder präzisen Interpretation entzieht.

Die Sieger-Story nochmals in Kürze: Ein 50-jähriger Mann erzählt einer jungen Frau eine seltsame Geschichte. Schon bald geht der jungen Frau auf, dass es sich dabei um ihre eigene Geschichte handelt. Der Mann scheint bereits alles über die junge Frau zu wissen. Kann der ältere Mann in die Zukunft blicken? Ja, das ist ein brillanter Roman von Peter Stamm. Genauer: Das ist eine raffinierte Doppelgänger-Geschichte. Gibt es so etwas wie Schicksal? Oder sind wir alle bloss dem Zufall ausgeliefert? Das ist ein verspielter Roman, eine starke Geschichte.

Persönlich habe ich Peter Stamm getroffen an einer Lesung, die er in diesem Herbst in der Briger Buchhandlung ZAP gehalten hat. Bei dieser Gelegenheit ist mir seine etwas monotone Art zu lesen und sein nicht sehr publikumswirksames Kommunikations-Verhalten aufgefallen. Seinem Schreiben tut dies jedoch keinen Abbruch. Die Qualität seiner Texte ist immer auf hohem Niveau. Stamm schreibt nach eigenen Worten „über Menschen und über Beziehungen zwischen Menschen“. Wiederkehrende Themen sind die vielgestaltigen Möglichkeiten von Liebesbeziehungen, die Unmöglichkeit der Liebe sowie Distanz und Nähe.

Peter Stamm wuchs mit drei Geschwistern in Weinfelden im Kanton Thurgau auf. Er absolvierte eine kaufmännische Lehre und arbeitete als Buchhalter. Seine ersten drei Romane fanden keinen Verleger. Für seine ersten literarischen Versuche erhielt er Absagen. Erst als er Psychologie und Psychopathologie zu studieren begann, konnte er sein Schreiben auf einem höheren literarischen Niveau etablieren. Nach längeren Aufenthalten in New York, Paris und Skandinavien bezog Peter Stamm 1990 in Winterthur seinen Wohnsitz. Als Journalist arbeitete er für die Neue Zürcher Zeitung, den Tages-Anzeiger, die Weltwoche und den Nebelspalter. Sein erster Romanerfolg war „Agnes“, es war dies sein bereits vierter Roman. 2014 erhielt Peter Stamm eine Poetik-Professur an der Universität Bamberg. In der Schweiz ist er bereits Träger des Schillerpreises und des Solothurner Literaturpreises.

Text und Foto: Kurt Schnidrig