Literarische Affären

Martin Heidegger und Hannah Arendt. Er war der Star unter den Philosophen. Sie war die Rebellin unter den Literaten. Beide zählen sie zu den bedeutendsten Denkern des 20. Jahrhunderts. Er war Professor, sie war seine Schülerin. Er war ein Hitler-Sympathisant, völkisch, antisemitisch und totalitär. Als Hitler an die Macht kam, predigte er gegen die „Verjudung des deutschen Geistes“. Sie war Jüdin und leistete Widerstand gegen das Hitler-Regime. Sie wurde als „feindliche Ausländerin“ in ein Lager gesteckt. Die beiden liebten sich abgöttisch. „Wie und was ich bin, geht auf Heidegger zurück; ihm verdanke ich alles!“, wird Hannah Arendt später ihrer Biographin zu Protokoll geben.

Wer will eine solche Liebe verstehen? In einer Serie mit dem Titel „Liebe ohne Grenzen“ hat die NZZ am Sonntag unter anderem auch die rätselhafte Beziehungsgeschichte der Philosophen Hannah Arendt und Martin Heidegger recherchiert (Pauline Krätzig in: NZZ am Sonntag, 11. 11.2018). Neuere Quellen enthüllten schon vor ihr die schier unmögliche Liaison zwischen der Jüdin und dem Antisemiten. Joachim Fest etwa in „Das Mädchen aus der Fremde“. Oder die Arendt-Biografin Elisabeth Young-Bruehl, welche als erste die Affäre Arendt-Heidegger öffentlich machte.

Martin Heideggers Philosophie war revolutionär. Ihm ging es weniger darum, Antworten auf Fragen zu liefern. Die Aufgabe der Philosophie sah er vielmehr darin, das Fragen selbst wach zu halten. Seiner Meinung nach sollte die Philosophie nicht Gewissheit und Sicherheit bieten. Die Philosophie sollte eine Beunruhigung unseres eigenen Daseins bewirken. Die bisherige Philosophiegeschichte interpretierte er vor allem als eine Geschichte der Verdeckung der grundsätzlichen Fragen. Die Philosophie habe nicht nur die Grundfragen vergessen, sondern vor allem die Frage nach dem Sein, monierte er. Ziel des Fragens sei somit nicht, eine Antwort zu bekommen, sondern durch das Fragen aufzudecken, was sonst in Vergessenheit geriete. Für Heidegger wurde das Fragen zum Wesensmerkmal des Denkens. „Sein und Zeit“ ist das Hauptwerk von Martin Heidegger. Es gehört zu den Jahrhundertwerken der Philosophie.

Sind wir in Liebesdingen zu vernünftig geworden? Auch dies ist so eine Frage im Sinne von Heideggers Philosophie. Braucht es mehr Verrücktheit in der Liebe? Für die Jüdin Hannah Arendt war die Liebe mit dem Antisemiten Heidegger der „Segen meines Lebens“. Martin Heidegger weckte in Hannah Arendt die Leidenschaft des Denkens. Und damit auch die grösste Liebesleidenschaft ihres Lebens. Von der Gestapo, der Geheimpolizei Hitlers, wurde sie inhaftiert. Sie flüchtete nach New York und war nach dem Krieg in den USA eine bekannte Autorin. Auch sie radikalisierte sich. In ihrer Thesenschrift über die „Banalität des Bösen“ setzte sie sich weltweiter Kritik aus. Darin kritisiert sie die Rolle der Juden im Holocaust. Dem Nazi-Funktionär Adolf Eichmann attestiert sie darin eine gewisse „effiziente Bürokratie“.

Liebe als Mysterium. Im Liebessommer 1924 beherrschte die Liebe das Paar. „Er rief, ich kam“, ist bei Arendt-Biografin Elisabeth Young-Bruehl nachzulesen. Heidegger soll in dieser Liaison der Dominante gewesen sein. In seinen Briefen ermahnte er sie, ihre „Attribute der Weiblichkeit“ zu bewahren, die strahlenden Augen, die scheuen Hände. Die ansonsten blitzgescheite und mutige Hannah Arendt fügte sich diesem sexistischen Getue. Immer habe sie Heidegger gegenüber so getan, „also ob ich nicht bis drei zählen kann“, wird sie später in einem ihrer Briefe gestehen. Was als leidenschaftliche Affäre begonnen hatte, endete in einer unerfüllten Sehnsucht. Heidegger wie Arendt waren mit anderen Partnern verheiratet. Beide suchten sie nach einem anderen Leben. Das Leben mit Frau und Kindern erfüllte sie nicht. Sie war „verzaubert von seiner Poesie“. Sie, die Jüdin, und er, der Antisemit. Eine Liebe ohne Grenzen.

Manche Beziehungen sind ganz einfach unerklärlich. „Die Liebe ist nicht dazu da, verstanden zu werden. Denn wahrhaftig liebt man nicht, weil, sondern obwohl und trotzdem.“ (Pauline Krätzig, in: NZZ am Sonntag, 11.11.2018).

Text und Foto (Symbolbild): Kurt Schnidrig.