Spruchjini und Zellute

Poesie auf der Alp. Roberta Brigger, die sympathische Leiterin des Alpmuseums auf der Riederalp, hat mich seit dem Spätsommer engagiert. Ich darf als Moderator durch die literarischen Kulturabende führen. Sie hat mir eine Welt eröffnet, die ich bisher nur aus alten Folianten kannte. Es ist dies die frühere bäuerliche Welt, die ich nun endlich entdecken darf. Dazu muss ich sagen, dass mir die Welt der Berge und der Alpen in meiner Jugend grösstenteils verschlossen blieb, weil wir damals grenzenlos darauf erpicht waren, die grosse weite Welt kennenzulernen. Fernöstliche Philosophien waren angesagt. Die Länder im Osten lockten mit ihren Sehnsuchtsorten. Ein Leben auf der Alp? Es war für uns damals schlicht undenkbar, es war uns zu eng und zu archaisch. Was ich damals verpasst habe, das kann ich jetzt nachholen. Ich darf dies tun zusammen mit Alpen-Poeten wie Anna Maria Bacher, Bernhard Walker und anderen bodenständigen Literaten, die Roberta Brigger mit viel Herzblut für ihre Kulturabende in ihr Alpmuseum auf die Riederalp holt. Neu im Angebot des Alpmuseums ist die „Stuba“, darunter versteht Roberta ein heimeliges Abendessen mit Geschichten. Im Gespräch mit ihr tun sich frühere, längst vergessene Welten auf (Bild unten). Die Leiterin des Alpmuseums ist glücklich, wenn sie Gesellschaft erhält von Zeitgenossen, die mit ihr zusammen in das Früher abzutauchen gewillt sind. Mit Bernhard Walker hatte sie da eine sehr gute Wahl getroffen.

Tierdoktor und Poet. Wer ein Leben lang als Tierarzt von Hof zu Hof reiste, der kennt nicht nur das bäuerliche Handwerk aus dem Effeff, dem ist auch die landwirtschaftliche Lebensart und Sprache vertraut. Die Rede ist von Bernhard Walker. Er ist am „Zämurächu“. Das darf man tun, wenn man das 90. Lebensjahr überschritten hat. Bernhard Walker spricht in Bildern. Er möchte die „gröübut Matta“ nicht mit dem breiten Rechen säubern. Rückblickend auf sein reiches Leben möchte er „zämurächu ohni Matta“. Er möchte bloss noch „naarächu“ und „fläätigu“, was da stehen geblieben ist während eines langen und spannenden Lebens. Und was bleibt da bei dieser „Zämurächata“ hängen? Es sind „äs par chliini Puschultini Heiw“, die während all der Jahre auf der Spielwiese des Lebens stehen geblieben sind. Er hat die stehen gebliebenen „Puschultini Heiw“ in walliserdeutsche Sprüche, Gedichte und Erzählungen umgeformt. Darin plädiert er für ein Innehalten in einer schnelllebigen Welt, in der oftmals die Zeit fehlt für eine Rückschau auf das, was uns geprägt und geformt hat.

Statt einer Biographie. Prominente, Stars und Starlets aller Schattierungen lassen heute dicke Bücher über ihr angebliches Leben schreiben. In seinem Poesiebuch „Zämurächu“ beschreitet Bernhard Walker einen anderen Weg. Er bringt kurz und träf auf den Punkt. Er tut dies überdies in einem Gommertitsch, das reiner, perfekter und origineller nicht sein könnte. Er berichtet etwa von den „Gütscher va Brig“, die als Herrschaften einen Kontrast zum bäuerlichen Leben abgaben. Immer zeigt er auch Herz für die armen „Schlarggini und Schnäpslera“. Trotz all der Härte des bäuerlichen Alltags schlich sich aber auch immer romantisch und geheimnisvoll das Gefühlhafte und Liebevolle ins Leben. Etwa dann, wenn ihn verliebte Blicke der jungen „Schnaarini“ ausgerechnet in der „Chrischtulehr“ trafen. Wie klein und übersichtlich doch die Welt damals noch war! „Uf dum grienu Bäichji vor z’Ittigsch Wirtschaft“ war das Lebenszentrum des Autors. Da liess sich trefflich „doorfu“ und „gschirru“. Was mich zutiefst beeindruckt, das ist der Optimismus, der trotz der Härte und der ausschliesslich von Arbeit geprägten Lebenszeit damals die Gemüter erhellte. „Tüümu drääju“ war da fehl am Platz. „Obschi lüegu in d Sunna“ so wie die Sonnenuhr hingegen schon.

Fer Opti- und fer Pessimischte. So ist ein Text im Büchlein „Zämurächu“ betitelt. Die folgenden sonnigen Zeilen eignen sich für jedes Poesie-Album: „Nimm die Strahle, pack und fang schi! Tüe die Wermi sorgsam spiichru, so bischt im Winterschnee und Langsi, ja, ds ganz Jahr eine va de Riichru.“

Da oben auf der Alp, auf über 2000 Metern, da duzen alle einander. Und da ist man auch dem Himmel etwas näher als unten im Tal. Darüber lässt sich nächtelang philosophieren. Warum nicht demnächst einmal in der „Stuba“ bei Roberta? Für „Wii, Lafritscha und Gix“ ist gesorgt.

Text und Fotos: Kurt Schnidrig