Nikolausabend

Von drauss‘ vom Walde komm ich her; / Ich muss euch sagen, es weihnachtet sehr! / Allüberall auf den Tannenspitzen / Sah ich goldene Lichtlein sitzen; / Und droben aus dem Himmelstor / Sah mit grossen Augen auch das Christkind hervor, / Und wie ich so strolchte durch den dichten Tann, / Da rief’s mich mit heller Stimme an: / „Knecht Ruprecht“, rief es, „alter Gesell, / Hebe  die Beine und spute dich schnell! / Die Kerzen fangen zu brennen an, / Das Himmelstor ist aufgetan.“

Alte und Junge sollen nun / Von der Jagd des Lebens einmal ruhn; / Und morgen flieg ich hinab zur Erden, / Denn es soll wieder Weihnachten werden! / „Hast denn das Säcklein auch bei dir?“ / Ich sprach: „Das Säcklein, das ist hier; / Denn Apfel, Nuss und Mandelkern / essen fromme Kinder gern!“ / „Hast denn die Rute auch bei dir?“ / Ich sprach: „Die Rute, die ist hier! / Doch für die Kinder nur, die schlechten, / Die trifft sie auf den Teil, den rechten!“

Christkindlein sprach: „So ist es recht, / So geh mit Gott, mein treuer Knecht!“ / Von drauss‘ vom Walde komm ich her; / Ich muss euch sagen, es weihnachtet sehr! Nun sprecht, wie ich’s hier drinnen find? / Sind’s gute Kind‘, sind’s böse Kind‘?

Gedicht: Theodor Storm, 1817-1888, norddeutscher Schriftsteller. Fotos: Kurt Schnidrig