Der Plan B

Manchmal braucht es einen Plan B. Es ist Sonntagmorgen. Ein spannendes Vorhaben versinkt im Schnee. Die Strassen sind kaum befahrbar. Über Nacht hat einsetzender Schneefall alles blockiert. Ein Sonntag zum Vergessen? Zu Hause sitzen und Däumchen drehen? Kein Grund, sich zu ärgern! Wir sollten uns freuen, wenn etwas nicht läuft wie geplant. Denn das bringt unsere Kreativität in Schwung. Das fand soeben der Psychologe Jens Förster von der Universität Amsterdam heraus. Sein Buch trägt den Titel „Der kleine Krisenkiller“ (Knaur Verlag). Ständig müssen wir damit klarkommen, dass sich uns irgendein Hindernis in den Weg stellt. Es sind dies oft kleine Barrieren, die uns blitzschnell einen Plan B abverlangen. Alles versinkt im Schnee, nichts geht mehr. Manche Menschen überwinden solche alltäglichen Hindernisse mit grossem Geschick. Andere dagegen verzweifeln. Was aber zeichnet Menschen aus, die blitzschnell einen Plan B hervorzaubern können?

Hindernisse machen uns kreativ. Sobald ein Hindernis auftaucht, werden viele Menschen kreativ. Das Denken weitet sich. Der Psychologe Jens Förster fand dies durch verschiedene Experimente heraus. In einem Experiment lavierten 350 Studienteilnehmer einen Cursor durch ein Labyrinth. Plötzlich tauchte ein Hindernis auf, das den Weg zum Ziel blockierte. Der Psychologe analysierte nun, wie die Studienteilnehmer auf dieses Hindernis reagierten und wie sich ihr Denken veränderte. Seine Analyse lieferte drei Ergebnisse. Die Probanden am Computer lehnten sich regelmässig mit dem Körper zurück, sobald ihnen das Hindernis den Weg im Labyrinth abschnitt. Zugleich wanderten ihre Augen auf dem gesamten Bildschirm umher. Schliesslich legten die Probanden signifikant mehr Kreativität an den Tag. Ihr Denken weitete sich, und sie räumten das Hindernis fantasievoll aus dem Weg.

Praktischer Nutzen? In Krisen tendieren wir dazu, uns an einem Problem festzubeissen. Die Studien zeigen aber, dass es ratsam wäre, einen Schritt zurückzutreten, also zuerst einmal Abstand zu gewinnen. So könnte man bei einem Konflikt zum Beispiel kurz aus dem Raum gehen. Oder man könnte trotz der Probleme, Barrieren und Sorgen zuerst einmal einen Spaziergang machen. Häufig ist man nämlich beim Auftauchen eines Hindernisses auch emotional blockiert. Meistens reicht schon die räumliche Distanzierung, um kreative Prozesse anzustossen, die uns dabei behilflich sind, eine Lösung zu finden. Sich von seinen Alltagsproblemen wegzubewegen macht durchaus Sinn. Die Emotionen werden dadurch heruntergefahren, das Denken weitet sich und wir werden kreativ und erfinderisch. Menschen lösen Probleme generell besser, wenn sie kreativer denken und ihren Blick erweitern. Wenig erfolgversprechend dagegen ist das sture Festhalten an einem einmal gefassten Plan.

Ein komplexer psychologischer Mechanismus. Wenn Hindernisse sich uns in den Weg stellen, sollten wir zuerst einmal auf Distanz gehen. Sodann wechseln wir von einer engen Wahrnehmung, vom berüchtigten „Tunnelblick“, zu einer globalem Wahrnehmung und Verarbeitung von Informationen. Wie Kreativitäts-Tests zeigen, behalten wir diesen weiten Fokus auch bei, wenn das Hindernis bereits überwunden ist. Es öffnen sich uns neue Wege zu kreativen Lösungen, die wir zuvor nicht für möglich gehalten hätten. Dies bedingt allerdings, dass man beim Auftreten eines Hindernisses nicht zu früh aufgibt. Denn nur, wenn man „dranbleibt“, kann der komplexe psychologische Mechanismus in Schwung kommen.

Kreativ und losgelöst. Es ist Sonntagmorgen. Ein spannendes Vorhaben drohte im Schnee zu versinken. Über Nacht hatte einsetzender Schneefall alles blockiert. Das Hindernis hat meine Kreativität befeuert. Ich bin auf Distanz gegangen. Der Fokus meines Denkens hat sich geweitet, ich habe einen spannenden Plan B für den Sonntag entwickelt und einen Literatur-Blog zum Thema verfasst. Schon die räumliche Distanzierung reicht manchmal, um kreative Prozesse anzustossen. Und manchmal lösen sich Hindernisse auch ganz ohne unser Dazutun auf. Kommt Zeit, kommt Rat. Soeben ist die Schneeräumung vorgefahren, und hat – ohne mein Dazutun – die Realisierung meines Plans B wesentlich erleichtert.

Text und Fotos: Kurt Schnidrig