Die neue Burschenherrlichkeit

O alte Burschenherrlichkeit. Für die Studierenden gehörte es früher zum guten Ton, einer Studentenverbindung anzugehören. Der Vorsitzende einer Studentenverbindung war der „Senior“, seine rechte Hand war der Fuchsmajor, der zugleich auch für das Einüben der Studentenlieder verantwortlich war. Die Mitglieder der Aktivitas durften sich „Burschen“ nennen. In den Jahren 1972/73 fiel mir die Ehre zu, am Kollegium Brig als Senior der Brigensis rund hundert Burschen anzuführen. Das Schuljahr war geprägt von Festivitäten, angefangen von der Fuchsentaufe, an der die „Frischlinge“ ihren Vulgo (den Studentennamen) erhielten, bis zum Totensalamander, der beim Ableben eines Altherrn „gerieben“ wurde. Nach dem Vorbild der deutschen Universitäten trafen sich die Mitglieder der Verbindung zum wöchentlichen Stamm. Höhepunkte waren die Kommerse und das grosse schweizerische Studentenfest im September. Die Studentenzeit war eine goldene Zeit, der man nachtrauerte, sobald man ins Erwerbsleben übertrat. Dies entsprechend dem uralten Lied: O alte Burschenherrlichkeit, wohin bis du entschwunden? Nie kehrst du wieder, goldne Zeit, so frei und ungebunden.

Eine neue Burschenherrlichkeit? In Wirklichkeit ist die Burschenherrlichkeit wohl endgültig „entschwunden“. Die goldene Zeit in früherer Form wird auch nie wieder zurückkehren. Und so frei und ungebunden wie damals, sind unsere heutigen Studierenden auch nicht mehr. Oder doch? Zurzeit sorgt ein Studentenroman für Schlagzeilen, der eine neue Burschenherrlichkeit propagiert. Geschrieben wurde das Buch von einem Schüler für Schüler. Der Autor heisst Christoph Simon und sein Roman nennt sich „Franz oder Warum Antilopen nebeneinander laufen“ (Unionsverlag). Christoph Simon erzählt eine Geschichte, die sich in Thun ereignet haben soll. Die Hauptperson ist der 21-jährige Gymnasiast Franz Obrist. Der Gymnasiast steht am Ende seiner schulischen Laufbahn und sollte nun in die Erwachsenenwelt übertreten.

Ewiger Student. Franz, die Hauptperson im Roman von Christoph Simon, möchte am liebsten sein ganzes Leben lang Student bleiben. Seiner Meinung nach wechselt niemand freiwillig in die Erwachsenenwelt, es sei denn, „die Person tickt nicht richtig“, wie sich Franz auszudrücken pflegt. Erwachsensein bedeutet für ihn, dass man produktiv, aktiv und nützlich zu sein hat. Und auf ein derartiges Erwachsenenleben hat Franz absolut keine Lust. Am liebsten würde er sein ganzes Leben lang Student am Gymnasium bleiben. Die Geschichte von Franz, dem Gymnasiasten, beinhaltet Passagen, die den Leser zum Lachen – oder zumindest zum Schmunzeln – bringen. Franz geniesst ein Studentenleben wie zu den Zeiten, als die alte Burschenherrlichkeit noch gelebte Wirklichkeit war.

Leicht, aber lesenswert. Die Geschichte des Gymnasiasten Max ist realistisch erzählt. Sie verfügt über viel Witz und manche Passagen sind zumindest zum Schmunzeln geeignet. Der Protagonist Franz möchte ein lebenslanger Gymnasiast bleiben. Er steht für die neue Burschenherrlichkeit. Franz ist ein Schüler mit gleichen Ideen, Anliegen und Problemen, wie sie auch unsere studierende Jugend mit sich herum trägt. Dies ist bestimmt mit ein Grund, weshalb der Roman von Christoph Simon zu einem nationalen Bestseller geworden ist. Die Geschichte spielt zwar in Thun, sie könnte sich aber genauso gut auch im Briger Kollegium ereignet haben.

Ein Schelmenroman. Grosse Literatur ist dieses Buch von einem Schüler für Schüler bestimmt nicht. Die Handlung gibt auf die Dauer zu wenig her, und die Sprache ist allzu salopp. Der Ich-Erzähler vermittelt jedoch den Eindruck, dass sich alles genau so zugetragen haben könnte. Vielleicht aber viel früher, als die alte Burschenherrlichkeit noch nicht entschwunden war. Nun kehrt sie wieder, die goldne Zeit, so frei und ungebunden. Es ist dies die neue Burschenherrlichkeit. Fiktiv beschrieben allerdings von einem Autor, der hauptamtlich als Kabarettist arbeitet.

Text und Foto (Symbolbild): Kurt Schnidrig