Das Glück des Unverfügbaren

Mit einem Klick verfügbar. Ein Klick, die Übernachtung in Paris ist gebucht. Ein Klick, die Überraschung zum Valentinstag ist perfekt. Ein Klick, der Tisch im Moulin Rouge ist reserviert. Ein Klick, die Geschenke zum Valentinstag liegen bereit. Ein Klick, die Suite im Ritz-Hotel lässt sich virtuell durchwandern. Noch ein Klick, und die passende Begleitung steht auf Abruf bereit. – Wir haben uns die Welt um uns herum ganz schön verfügbar gemacht. Während die einen eine digitale Lobeshymne anstimmen auf die neuen Freiheiten, bemängeln andere das Fehlen des Überraschenden, des Zauberhaften, des Unverfügbaren.

Die Entzauberung der Welt. Trotz all der Bequemlichkeiten und Verfügbarkeiten hat die Digitalisierung auch ihre Schattenseiten. Wo bleibt das Unerwartete, das Zauberhafte, das Unverfügbare? Der Klick zum Genuss erweist sich nicht selten als Killer der letzten, unerreichbaren Dinge. Wie würde sich der Aufenthalt in Paris, in der Stadt der Liebe, entwickeln, wäre die traute Zweisamkeit nicht bereits durch zahlreiche Klicks am Computer von zu Hause aus verplant? Die vermeintlichen Freiheiten, welche die vielen Klicks versprechen, sind leider nur allzu oft Killer der „wirklichen Erfahrung“, was immer man auch darunter verstehen möchte. Das allzeit Verfügbare, das uns die Klicks versprechen, trägt zu einem unmenschlichen Phänomen unserer Zeit bei. Es ist dies die Entzauberung unserer Welt.

Nachdenken über das Unverfügbare. Wie würde sich der geplante Aufenthalt in Paris gestalten, würden wir ihn nicht mit unzähligen organisatorischen Klicks von zu Hause aus bis ins Letzte festlegen und vorbestimmen? Vielleicht würde uns etwas Seltenes begegnen. Vielleicht würde uns etwas Scheues besuchen kommen. Etwas, was wir niemals erwartet hätten. Vielleicht würde sich etwas auf uns herabsenken, das wir nie für möglich gehalten hätten. Ein unerwartetes Geschenk vielleicht, eine neue Liebe gar, die ganz ohne unser Dazutun sich still und leise ankündigt. In seinem Essay über die Unverfügbarkeit beschreibt der Soziologe Hartmut Rosa die Erfahrung mit dem Unverfügbaren als eine Form von Anrufung, von seelischer Berührung, wie sie etwa beim Verlieben geschieht. Er bezeichnet die Erfahrung mit dem Unverfügbaren als „Resonanz“. Und er diagnostiziert auch eine zunehmende Resonanzsehnsucht bei vielen Menschen unserer Zeit. (Hartmut Rosa: Unverfügbarkeit. Residenz 2018, 136 Seiten).

Verfügbarkeitswunsch und Resonanzsehnsucht. Es ist nicht leicht, dem digitalisierten Alltag zu entsagen und sich auf das Unverfügbare einzulassen. Dennoch ist die Erfahrung (die Resonanz) des Unverfügbaren das Wunderbarste und Zauberhafteste in unserem Leben. Vieles lässt sich weder planen noch organisieren. Die ersten Blüten im Frühling zum Beispiel. Wenn die milden Frühlingstage all dem Alltagsgrau des Winters ein Ende bereiten, dann ist dies wie der Einbruch einer anderen Realität. Etwas, was die Welt um uns herum verwandelt. Etwas, was sich mit keinem Klick organisieren lässt. Die erste Blüte im neuen Jahr kann so zum metaphorischen Ausgangspunkt werden für das Nachdenken über das Unverfügbare. Es ist dies das grosse Glück des Unverfügbaren.

Text und Fotos: Kurt Schnidrig.