Es lebe das Verrückte!

Die verrückte fünfte Jahreszeit boomt. Wer nicht ein Fasnachts-Muffel ist, der holt spätestens am Fetten Donnerstag die Perücke, das Kostüm und die Schminkfarben aus der Kiste. Für mich ist die Fasnachtszeit auch ein Plädoyer für ein wenig Verrücktheit, für die genau genommen eigentlich während des ganzen Jahres etwas Platz vorhanden sein müsste. Die Normalität des Alltags ist der Feind aller Kreativität und aller Fantasie. Und sie ist auch der Feind von Glück und Erfolg. „Willst du normal sein oder glücklich?“, fragen uns die Lebensberater in der Ratgeberliteratur. Ein Schuss Verrücktheit ist für ein glückliches Leben eine wichtige Zutat.

Ein Plädoyer für die Verrücktheit. Sicher kennen Sie, liebe Leser*innen, die bewegende und emotionale Szene aus dem Film: Alexis Sorbas sagt zu seinem Chef, dem Schriftsteller Basil: „Verdammt nochmal, Boss, du bist so begabt, nur eines hast du nicht mitgekriegt. Was dir fehlt, Boss, ist Wahnsinn. Denn ein Mann braucht eine Portion Wahnsinn, weil er sonst nicht die Courage hat, auszubrechen, um frei zu sein.“ Was dann kommt, das kennen wir alle aus dem pathetischen Griechen-Film: Dann lehrt Alexis Sorbas seinen Boss, wie man Sirtaki tanzt. Ich meine: Welch tolle Filmszene! Ich sehe sie mir hin und wieder an, wenn mir das Leben allzu ernst und die Wege allzu ausgetreten erscheinen.

Eine konstruktive Verrücktheit. Natürlich ist Verrücktheit nicht einfach Verrücktheit. Da ist einmal die konstruktive Verrücktheit. Sie müsste einen wichtigen Platz in unserem Leben einnehmen. Die konstruktive Verrücktheit ist der Versuch, „Denkautobahnen“ zu verlassen, was in unserer westlichen Gesellschaft immer wichtiger wird. Die Verrücktheit ist eigentlich positiv, sie ist eine Quelle für Wandel, schreibt etwa der Tiroler Psychotherapeut Reinhold Bartl. Wenn man sich aber anschaue, wer in unserer Gesellschaft erfolgreich sei, dann seien es vor allem jene, die sich den Normen einer einseitig leistungsorientierten Gesellschaft unterwerfen würden, moniert Bartl. Die Glücksforschung hat erkannt, dass das Beschreiten ausgetretener Wege nicht froh macht.

Eine instrumentelle Verrücktheit. Die moderne Philosophie geht davon aus, dass der Kapitalismus an einer „instrumentellen Verrücktheit“ interessiert ist. „Damit meine ich, dass sich die gegenwärtigen Management-Theorien darum bemühen, dass Menschen einen kreativen Wahnsinn pflegen, der effizient in wirtschaftlich attraktive Projekte umgesetzt werden kann“, meint der Philosoph Andreas Oberprantacher. Für ihn sind auch Philosophierende meistens Sonderlinge, die sich mit der Realität nicht abfinden, sondern verrückterweise darüber hinaus und dahinter gelangen wollen.

Die Grenze zwischen Normalität und Wahnsinn. „Jeder Mensch ist wahnfähig, das Verrückte lebt in uns“, schreibt der Psychiater Achim Hug in seinem Buch, das soeben erschienen ist. Wir alle seien „Kippfiguren“, meint Hug. Unsere Wirklichkeitswahrnehmung sei wenig „definitiv“. Man könne alles auch ganz anders sehen. Der Psychiater berichtet dann allerdings von Fällen aus seiner Praxis, die bereits als psychische Erkrankungen erkannt werden müssen. Beispiele? Ein Mann glaubt, er habe sich in die Tochter des Teufels verliebt. Oder: Eine Frau ist sich sicher, dass Trillionen kleiner Wesen in ihrem Körper leben, ihr Befehle erteilen und all ihr Tun kommentieren. Zweifellos sind dies Beispiele für Verrücktheit in Form von psychischen Erkrankungen. Diese grenzen sich von der konstruktiven Verrücktheit dadurch ab, dass mit ihnen ein Kontrollverlust einhergeht. Die Verrücktheit in Form von psychischen Erkrankungen verlangt nach einer adäquaten Behandlung.

Ein Schuss Verrücktheit. Mit der Verrücktheit verhält es sich wie mit jeder anderen „Droge“. Das Ausmass macht es aus. Ein Schuss Verrücktheit tut es allemal. Nur das Erreichen eines Ziels nach Umwegen und Irrwegen beschert uns ein intensives Glücksgefühl. Auch Paarbeziehungen werden durch einen Schuss Verrücktheit und „Ausgeflipptheit“ am Leben erhalten. Ein wenig Verrücktheit bringt die Lust und den Spass zurück. In diesem Sinne, liebe Leser*innen, wünsche ich Ihnen ausgeflippte und verrückte fasnächtliche Tage.

Text und Foto (Symbolbild): Kurt Schnidrig