Das ging unter die Haut

Die jugendliche Autorin Simone Sabine Steiner versuchte an ihrer Buchtaufe Verständnis zu wecken für den Schmerz und den ewigen Teufelskreis der Sucht. Es war ein Outing, das zu denken geben muss. (Foto: M.S.)

Eine Herzensangelegenheit. Da stand ich als Laudator vor zwei jungen Menschen, die ein erfrischendes und überaus ehrliches Outing vor grossem Publikum vorbereitet hatten. Sie, die jugendliche Autorin, Simone Steiner, das Fräuleinwunder, sie, die mit ihrem grossartigen Auftritt so manche Bestseller-Autoren, die auch schon hier an gleicher Stelle aufgetreten waren, schlichtweg in den Schatten stellte. Und er, der junge Oberwalliser Dominic Eggo, der sich und seine Drogensucht outete, der es verstand, sprachgewandt, einfühlsam und zuweilen gar auf poetische Art und Weise aus seinem Leben zu erzählen, das er als eine Gratwanderung zwischen Leben und Tod schilderte. Das ging uns allen unter die Haut.

Was mich berührt und bewegt. Was mir auch Tage nach diesem grossartigen Auftritt noch nahe geht, das sind die persönlichen Erkenntnisse der Autorin, die höchst erstaunlich sind, insbesondere aus der Feder einer doch noch so jugendlichen Buchschreiberin. Sie habe herausgefunden, dass wir allzu schnell verurteilen. Beim Schreiben ihres Buches habe sie mitbekommen, dass wir alle, jede und jeder, allzu sehr in einer eigenen Welt leben. Und dass wir uns alle bloss als eine Fassade sehen, was aber dahinter ist, das bleibe uns meistens verschlossen. Ihr Plädoyer für ein Leben füreinander und nicht gegeneinander ist zutiefst berührend und bewegend, gerade auch in der heutigen Welt, in der Machtmenschen jeglicher Provenienz nur das eine beweisen, dass nämlich das politische Leben einzig und allein aus einem Gegeneinander besteht.

Die Autorin Simone Sabine Steiner plädiert mit ihrem Buch „Gratwanderung“ für ein Leben füreinander und nicht gegeneinander. (Foto: Kurt Schnidrig).

Was noch zu sagen wäre… Der Protagonist, Dominic Eggo, ist überzeugt, dass die Drogenproblematik nicht nur ihn betrifft. Mit dieser Einschätzung liegt er zweifellos richtig. Der Wunsch, das eigene Bewusstsein zu erweitern und die Welt in leuchtenden Farben zu erleben, ist so alt wie die Menschheit selbst. Die Herstellung von synthetischen Drogen im 20. Jahrhundert hat neue Wege dazu aufgezeigt. Mit der Droge LSD haben die Menschen vor 50 Jahren erstmals „psychedelische Erfahrungen“ gemacht. Es war dies auch eine geistige Revolution. Diese Revolution hat in der Schweiz ihren Anfang genommen, in einem Labor der Pharmafirma Roche in Basel. Der Chemiker Albert Hofmann war es, der als erster in einem Selbstversuch die psychoaktive Wirkung der Droge LSD entdeckt hatte. Von Basel aus hat die Droge in den 60er-Jahren die Welt erobert. An der Harvard Universität hat daraufhin der Psychologie-Dozent Timothy Leary die Droge LSD zum ersten Mal an seinen Studenten ausprobiert.

Ein persönlicher Nachtrag. Das Leben der Hippie-Generation in den späten 60er-Jahren bekam durch gezielten Drogenkonsum eine ganz neue Dimension. Erweitertes Bewusstsein, Liebe statt Krieg, freie Liebe – vieles blieb freilich Stückwerk. Doch vieles davon hat die Grundlagen geschaffen für das 21. Jahrhundert, für das Heute. Im vergangenen Sommer sass ich an gleicher Stelle wie die Jungautorin Steiner auf der ZAP-Bühne. Zusammen mit wunderbaren Kolleginnen feierten wir die Vernissage meines Romans „Vergiss nicht die Blumen in deinem Haar“. Daraus entnehme ich dieses Zitat: „Die Menschen, die das 21. Jahrhundert erfanden, waren Marihuana rauchende Hippies, die von der Westküste kamen und einen anderen Blickwinkel hatten. In den 60er-Jahren entstand eine anarchistische Denkweise, die sich gut dazu eignete, sich eine nicht existierende Welt vorzustellen. Einer dieser Marihuana rauchenden Hippies war Steve Jobs, der Apple-Gründer. Im Silicon-Valley bei San Francisco hat er, zusammen mit seinen Mitstreitern, unser digitales Jahrhundert kreiert.“

Verleger, Autorin, Protagonist und Literaturkritiker nach einem Outing, das unter die Haut ging. (Bild zvg).

Gefangen im Rausch. Zurück zum Buch „Gratwanderung“ von Simone Steiner. Es trägt den Untertitel „Gefangen im Rausch“. Was hier die Autorin antönt, das erläutert der Bestseller-Autor T.C. Boyle. Der amerikanische Schriftsteller hat über den frühen Drogenkonsum der 68-er Generation einen Roman geschrieben, der aktuell die Bestenlisten stürmt. Er trägt den Titel „Das Licht“. Der Roman endet mit den Zeilen: „Was bringen tiefe Einsichten in das eigene Selbst und ins Universum, wenn diese Einsichten nur möglich sind, solange die Droge wirkt?“

Text und Fotos: Kurt Schnidrig