Steine erzählen Geschichten

Statt kitschiger Souvenirs bringe ich aus den Ferien oder von Wanderungen besondere Steine nach Hause. Im Steingarten erzählen sie Geschichten und wecken Erinnerungen.
(Foto: Kurt Schnidrig)

Ferienzeit ist auch Souvenirzeit. Was man da so alles nach Hause bringt! Aus Venedig eine bemalte Maske, aus Kreta eine nachgebildete Götterfigur, aus Spanien einen Fächer. Es sind dies Souvenirs, die nach kurzer Zeit zu Staubfängern mutieren, dann in einer Schublade verschwinden und schliesslich als Kehricht entsorgt werden. Ich bringe kleine Steinchen, die irgendwo herumliegen, nach Hause. Im Steingarten bekommen sie ihren Platz, und da erzählen sie ihre Geschichten. Jetzt habe ich einen Ideenverwandten getroffen. Der Wanderjournalist Thomas Widmer hat ein Buch darüber geschrieben.

Es war einmal… Auf den Geschmack gebracht hat mich beim Sammeln von Steinen der frühere Briger Spitalpfarrer Emil Schmid. Er durchforschte die Zwergenhöhlen in der Triesta bei Brig und förderte manchen erstaunlichen Fund zu Tage. Nur mit geschärftem Auge und mit etwas Phantasie kann man erkennen, dass es sich bei vielen Steinen nicht einfach nur um Steine handelt, sondern um Zeugen unserer menschlichen Kultur. So fand ich kürzlich einen Faustkeil, möglicherweise stammt er aus der Steinzeit. Was haben unsere Vorfahren wohl alles damit angestellt? Tierhäute präpariert? Das Fleisch des erlegten Wildes zerschnitten? Oder ist der Keil gar ein kriminelles Tatwerkzeug, das Stoff für einen Steinzeit-Krimi böte?

Ein Faustkeil aus der Steinzeit? Was alles haben unsere Vorfahren wohl damit angestellt? Angereichert mit etwas Phantasie böte er Stoff für einen historischen Roman.
(Foto: Kurt Schnidrig)

Versteinerte Erinnerungen. In der legendären „Trommelbucht“ auf Ibiza fand ich letzthin den Stein der Liebe. Ich habe ihn „Stein der Liebe“ getauft, weil er sich rot verfärbt, sobald er mit Wasser in Berührung kommt, und Rot ist ja die Farbe der Liebe. Wenn die Regenwolken nahen, dann höre ich das Meer vor Ibiza rauschen. Der Kreislauf der Natur sorgt dafür, dass die Wasser aus dem Meer sich mit dem Stein vereinen, sie färben ihn rot, und er darf wieder der Stein der Liebe sein.

Er färbt sich rot, wenn der Regen die Feuchtigkeit des Meeres zu uns trägt. Dann verwandelt sich der Stein und er erzählt seine Geschichte. (Foto: Kurt Schnidrig)

Die grossen Brocken der Schweiz. Dass Wanderer zuweilen schöne Steine sammeln, das ist legitim und weit verbreitet. Vermeiden sollte man natürlich das Einsammeln von Steinen, die zu einem anerkannten Kulturgut gehören. Die lässt man besser liegen, will man sich nicht strafbar machen. Die Schweiz ist steinreich. Steinreich sind wir nicht bloss der Goldschätze wegen, die in unseren Banksafes lagern. Der Wanderjournalist Thomas Widmer hat Steine gesammelt, die er jedoch nicht nach Hause tragen kann. Es handelt sich um tonnenschwere Brocken. Ausgehend vom Schweizer Steininventar (ssdi.ch) hat er 101 jener grossen Findlinge und Steindenkmäler besucht, die in der Schweiz herumliegen und ihre unglaublichen Geschichten erzählen.

Hundertundein Stein. So heisst das bezaubernde kleine Buch von Wanderjournalist Thomas Widmer. Das Büchlein passt in jeden Rucksack und führt uns zu den grossen Brocken der Schweiz. Die meisten von uns kennen vielleicht noch die Sage vom Teufelsstein am Gotthard. Aber kennen sie auch die Geschichte des Gnagisteins in Obwalden? Auf ihm soll ein Vogel gar ein Kind verspeist haben! Schrecklich! Im Kanton Schwyz steht der Druidenstein, der von einer Verschwörung erzählt. Und was ist mit dem Schwarzen Staa in Bargen? Kaum jemand weiss, wo Bargen liegt, geschweige denn, welch fürchterliche Geschichte uns der Schwarze Stein zu erzählen hat! Beim Lesen schärfen sich die Sinne und plötzlich erinnert man sich, dass auch in unserer Region der eine oder andere Stein liegt, der viel zu erzählen hat.

Der Mörderstein im Pfynwald. Jahrelang kämpften Kultur- und Sagenfreunde um die Erhaltung des Mördersteins im Pfynwald. Er hätte der neuen Streckenführung der A9 weichen müssen. Die Kämpfer hatten Erfolg. Die historische Kultstätte Mörderstein im Pfynwald konnte erfolgreich versetzt werden. Bei der Kultstätte wurden 9000 Jahre alte Spuren menschlicher Zivilisation gefunden. Der Stein war gar Thema im Grossen Rat. Und der Präsident des Oberwalliser Vereins Kultstein / Steinkultur, Edgar Ruppen-Zeiter, lancierte damals eine Unterschriftensammlung, um die Planer der A9 dazu zu bewegen, eine andere Linienführung zu suchen, um so den Mörderstein an seinem angestammten Platz zu belassen.

Ein schöner Stein als Mitbringsel oder als Belohnung? Eine grandiose Idee.

Steinreich. Ein lieber Medien-Kollege, er hat sich auch als Strahler einen Namen geschaffen, belohnte mich mit einem wunderschönen Kristall anstelle einer Gage für einen Moderations-Job, den ich für ihn tätigen durfte. Nun kann ich lauthals verkünden: Leute, ich bin steinreich!

Text und Fotos: Kurt Schnidrig