Auf Dürrenmatts Spuren

Zu Besuch im Centre Dürrenmatt in Neuchâtel waren die Walliser Autorinnen und Autoren deutscher Sprache (WAdS). Foto: Kurt Schnidrig

Friedrich Dürrenmatt prägt unser literarisches Schaffen auch noch fast dreissig Jahre nach seinem Tod. Er tut dies als Schriftsteller, Dramatiker und Maler. 1921 im Emmental geboren, begann er schon als Zwanzigjähriger zu malen und zu zeichnen, eine Neigung, die ihn ein Leben lang prägen sollte. Im Jahr 1946 heiratete er die Schauspielerin Lotti Geissler. Mit ihr übersiedelte er zwei Jahre später in die Gemeinde Ligerz am Bielersee. Die Walliser Autorinnen und Autoren deutscher Sprache WAdS besuchten auf ihrem jährlichen „Schulausflug“ das Centre Dürrenmatt in Neuchâtel.

Aussicht vom Centre Dürrenmatt auf den Bielersee. Hier entstand der Dürrenmatt-Krimi „Der Richter und sein Henker“ (Foto: Kurt Schnidrig).

Der Richter und sein Henker. Wo sich heute sympathische Schriftstellerinnen herzen (Bild), spielt der mörderische Dürrenmatt-Krimi „Der Richter und sein Henker“. 1948 bezog hier Dürrenmatt mit Frau Lotti Geissler und Sohn Peter einen neuen Wohnsitz. 1950 entstand hier an den Gestaden des Bielersees der überaus spannende Krimi mit offenem Bezug zu angrenzenden Lokalitäten wie Lamboing. In dessen Verfilmung im Jahr 1975 trat der Schriftsteller selber als „Friedrich“ auf. Seine beiden Krimis „Der Richter und sein Henker“ und „Der Verdacht“ erschienen vorab als Fortsetzungsgeschichten im Schweizerischen Beobachter.

Das Haus der Familie Dürrenmatt oberhalb von Neuenburg. (Foto: Kurt Schnidrig)

Im Haus der Dürrenmatts. 1952 bezogen die Dürrenmatts ihr neues Haus oberhalb von Neuenburg. Hier versuchte sich Friedrich Dürrenmatt erstmals als freier Schriftsteller. Doch der Unterhalt seiner mittlerweile fünfköpfigen Familie bescherte Dürrenmatt wirtschaftliche Schwierigkeiten. Zu Sohn Peter war 1949 die Tochter Barbara und 1951 die Tochter Ruth hinzugekommen. Dank Hörspiel-Aufträgen fürs Radio konnte sich Familie Dürrenmatt über Wasser halten. Ausserdem wurde in dieser Zeit der Arche Verlag zu seinem Stammverlag.

Das Ende der Banken. Als Maler und als Schriftsteller beschäftigte Dürrenmatt die korrumpierende Wirkung des Wohlstands.
(Foto: Kurt Schnidrig)

Der verpasste Lebenstraum. Eigentlich hätte Dürrenmatt den Beruf des Kunstmalers erlernen wollen. Statt dessen studierte er Philosophie, Naturwissenschaften und Germanistik an der Universität Bern. Seine Neigung zur Malerei lebte er dennoch aus. Er illustrierte manches seiner Werke selber, er schuf auch ganze Bühnenbilder fürs Theater. Eines seiner berühmtesten Bilder zeigt das Ende der Schweizer Banken. Die Käuflichkeit des Menschen ist eines der Hauptthemen, nicht nur in der Malerei. Seine tragische Komödie über die korrumpierende Wirkung des Wohlstands „Der Besuch der alten Dame“ wird heute noch gespielt, so etwa in diesem Frühjahr von der Studentenbühne des Kollegiums Spiritus Sanctus in Brig.

Tragisch und komisch zugleich ist Dürrenmatts Werk. In der Unübersichtlichkeit der modernen Welt wird Schuld verwischt und abgeschoben. (Foto: Kurt Schnidrig)

Der Typus der Tragikomödie. Eine Mischung aus Tragödie und Komödie sei die einzig mögliche dramatische Form, heute das Tragische auszusagen. Die Tragödie setzt Schuld, Not, Mass, Übersicht, Verantwortung voraus, um ihr Ziel, die Läuterung des Einzelnen, zu erreichen. In der Unübersichtlichkeit der modernen Welt, so Dürrenmatt, werde Schuld verwischt und abgeschoben. Der Moderne komme nur die Groteske bei. (Dürrenmatt in: Theaterprobleme von 1955). Ein weiteres grosses Thema in Dürrenmatts Werk ist die Parabel von der Bedrohung der Menschheit durch die Zivilisation, dieses Thema hat er meisterhaft abgehandelt in „Die Physiker“ aus dem Jahr 1962.

Eine aktuelle Ausstellung im Centre Dürrenmatt ist den sogenannten „Helvetismen“ gewidmet. (Foto Kurt Schnidrig)

Mut zu einem „Schweizerhochdeutsch“! Dürrenmatt liess sich von den Exponenten unseres nördlichen Nachbarlands nicht dazu „erziehen“, ein Hochdeutsch wie in Deutschland üblich zu sprechen. Sein Berner Dialekt färbte sein gesprochenes Hochdeutsch, das er zusätzlich noch mit „Helvetismen“ spickte. Helvetismen sind Wortschöpfungen, die auf Schweizer Boden gewachsen sind, wie etwa „Fleischvogel“, „Cremeschnitte“ oder „Bündnerfleisch“. Dürrenmatt war stolz auf sein „Schweizerhochdeutsch“ und weigerte sich, so zu sprechen wie die Deutschen. „Ich kann nicht höher sprechen“, pflegte er zu antworten, wenn man ihn dazu erziehen wollte ein Hochdeutsch zu sprechen wie in Deutschland. 

Die Panne, auch in Dürrenmatts „stillem Örtchen“ (Foto: Kurt Schnidrig)

Die Panne. Nach dem Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki wurde die Erzählung „Die Panne“ aus dem Jahr 1956 von der deutschen Kritik komplett unterschätzt. Die Erzählung ist eine Parabel von der Schuld des Individuums. Zur Erinnerung an Dürrenmatt hatten die Co-Organisatoren des WAdS-Schulausflugs, die SBB, für echte Pannen gesorgt. Heutige Pannen unterscheiden sich jedoch grundsätzlich von jenen, die Dürrenmatt beschrieb.

Der sommerliche „Schulspaziergang“ der Vereinigung der Walliser Autorinnen und Autoren WAdS verlief denn auch – ganz in Dürrenmattscher Manier – nicht ohne Panne. In Dürrenmatts Erzählung sorgt eine Autopanne für amouröse und kommerzielle Verstrickungen. Für die Walliser Autorinnen und Autoren sorgte die SBB für Pannen auf der Hin- wie auf der Rückfahrt. Der Unterschied: Heute ist sowas nicht mehr eine Parabel von der Schuld eines Individuums. Heute trägt bei Pannen grundsätzlich kein „Individuum“ mehr die Schuld. Schuld ist z.B. eine „Störung der Fahrleitung“ (Hinfahrt) oder ein „Störung bei der Türöffnung“ (Rückfahrt). Aber schön wars auf dem WAdS-Ausflug und die geschlossenen Freundschaften sind bestimmt absolut pannensicher.

Text und Fotos: Kurt Schnidrig