Stell dir vor…

Ein Buch darf niemals erscheinen. Das Buch vom Untergang der Erde.
(Symbolbild: Kurt Schnidrig)

Es gibt Texte, die können die Welt verändern. Meistens sind sie mit grossartiger Musik unterlegt. Einer dieser Texte heisst „Das Buch“ und stammt von der ehemals ostdeutschen Band „Puhdys“. Zu Zeiten des Klimawandels und Bedrohungen aller Art hat der Text nichts von seiner Aktualität verloren. Der Pfingstmontag war früher ein Tag der Manifeste und der Kundgebungen. Gegen die Atomkraft, gegen die Zerstörung der Umwelt, für den Frieden und gegen Waffengewalt. Der untenstehende Text erinnert an eine Zeit, als sich Menschen noch „bewegen“ liessen…

Stell dir vor, irgendwo gibt es einen Planeten, auf dem intelligente Wesen leben. Sie sehen vielleicht genauso aus wie wir. Und auf diesem Planeten gibt es Bibliotheken voll mit Büchern, geschrieben von Dichtern, Philosophen und Wissenschaftlern. Und vielleicht, wenn auf der Welt der Hass und die Gier so gross werden, dass nichts, aber auch gar nichts mehr sie retten kann, dann vielleicht gibt es dort auch ein Buch, das heisst „Der Untergang der Erde“.

Das Buch wird berichten über unser Leben und über Feuer, das so gross war, dass es keine Tränen mehr löschen konnten. (Symbolbild: Kurt Schnidrig)

Das Buch wird über uns berichten, über unser Leben, über unsern Tod, und über Feuer, das so gross war, dass keine Tränen es mehr löschen konnten, bis hin zur letzten Sekunde als die Erde aufhörte zu existieren.Und aus zehnmilliarden Augen ein Trauerregen rann, und ein Tränenmeer, das überlief und den letzten Damm der Hoffnung zerbrach.

Ein schwebendes Grab im All, auf dem keine Blume wächst. Die Kontente geschmolzen, die Meere verbrannt – ein schwarzer Stein. Und welch bittere Ironie: Nicht eine einzige Waffe wird den toten Planeten mehr bedrohen. – Und aus zehnmilliarden Augen ein Trauerregen rann. Und ein Tränenmeer, das überlief und den letzten Damm der Hoffnung zerbrach.

Und wer will, dass die Erde nie mehr weint, wer sich mit uns gegen Strahlentod vereint, der sorgt dafür, dass dieses Buch niemals erscheint.

Zehnmilliarden Augen woll’n die Erde leben sehen. (Symbolbild: Kurt Schnidrig)

Denn wer da will, dass die Erde nie mehr weint, wer sich mit uns gegen Strahlentod vereint, der sorgt dafür, dass dieses Buch niemals erscheint. Denn die zehnmilliarden Augen woll’n die Erde leben sehn, sie soll Heimat ohne Ängste sein für die Liebe und Geborgenheit.

Der Pfingstmontag war früher ein Tag der Manifeste und der Demonstrationen. Gegen die Atomkraft, gegen die Zerstörung der Umwelt, für Frieden und gegen Waffengewalt. Einer der Protagonisten, der uns Studierende damals „bewegte“, war der Schweizer Schriftsteller Otto F. Walter. Er leitete den renommierten Walter-Verlag in Olten. Autoren wie Alfred Andersch, Alexander Kluge, Jörg Steiner, Peter Bichsel oder Kurt Marti wurden hier gedruckt. Seine eigenen Romane publizierte Otto F. Walter jedoch im Rowohlt Verlag. Walters Romane zeichnen sich durch einen leidenschaftlichen Gegenwartsbezug und ihre aktuelle Thematik aus.

Wie wird Beton zu Gras. Otto F. Walter mischte sich immer wieder in politische Diskussionen ein. Er engagierte sich in der Anti-AKW-Bewegung, in der Friedensbewegung und rief die „Bewegung für eine offene, demokratische und solidarische Schweiz“ (BODS) ins Leben. Auf literarischem Gebiet fungierte Walter als Mitbegründer der Autorenvereinigung „Gruppe Olten“ (1969) sowie der Solothurner Literaturtage. Sein Roman „Wie wird Beton zu Gras“ war für uns Studierende damals so etwas wie ein Fanal, wie eine Initialzündung, selber aktiv zu werden. Das Buch handelt von einem 17-jährigen Mädchen, das mit seinen zwei Brüdern Ende der 70er-Jahre gegen die gesellschaftlichen Zwänge ankämpft und erwachsen wird. Das Mädchen ist hin- und hergerissen zwischen ihrem Wunsch nach Freiheit und dem Wissen darum, dass man sich früher oder später in die Gesellschaft eingliedern muss. Ihr Vater steht für die gesellschaftliche Ordnung und für das spätere Leben; ein alter Panzer im Wald wird Symbol und Mittel zur Rebellion, zum Aufstand gegen die Gesellschaft.

Pfingstmontag, Manifestationen, Demonstrationen. Es war dies unsere Welt als Studierende damals, es war die Zeit unseres Erwachsenwerdens. Vieles davon ereignete sich in diesem legendären Jahr 1969. Die Jugend der Welt stand auf. Wir standen auf gegen die Verkrustung des „Establishments“, gegen eine Welt des Bürgerlichen, des Überkommenen, gegen eine Gesellschaft, die erstarrt war in Konventionen, in Kriegen und in Isolation. Fünfzig Jahre sind es her. Wo sind die „Bewegten“ heute? Ist es Greta Thunberg und ihr Gefolge? Oder sind es die demonstrierenden Frauen, die kommenden Freitag auf die Strasse gehen?

Text und Fotos: Kurt Schnidrig