Chris von Rohr: „Himmel, Hölle, Rock’n’Roll“

Chris von Rohr schrieb eine Liebeserklärung an fünfzig Jahre Schweizer Rockmusik.
(Symbolbild: Kurt Schnidrig)

Chris von Rohr, Rocklegende und Kultfigur mit Jahrgang 1951, hat seine Autobiographie geschrieben. Viele seiner Lieder haben die mittlerweile ältere Generation bis heute begleitet, motiviert und animiert. Das eigentlich unbeschreibliche Gefühl von grenzenloser Freiheit, und diese unbändig wilde Lust auf das Leben in allen seinen Facetten hat so Wahnsinns Typen wie Chris von Rohr nicht nur tolle Musik machen lassen. Chris von Rohr und seine Mitkämpfer waren darüber hinaus auch Wegbereiter für das neue Jahrtausend, in dem wir nun leben. Auch wenn der Lack der goldenen Zeiten des Rock’n’Roll nun wohl definitiv ab ist, auch wenn in unseren Tagen eher wieder eine Rückkehr zu einem biederen und spiessbürgerlichen Lebensstil und eine Flucht zurück auf die eigene Ego-Insel angesagt ist, auch dann: Wir alle verneigen uns vor den Rockstars des vergangenen Jahrhunderts, die zumindest versucht haben, dieser Welt den Touch von grenzenloser Aufbruchstimmung mit wilden Rhythmen und mit zutiefst philosophischen Songtexten zu verleihen.

Mitreissende Begeisterung zwischen Buchdeckeln. Was uns Heutigen das unverwüstliche Rock-Urgestein Chris von Rohr in seiner mit Bildern und Anglizismen gespickten Slang-Sprache mitzuteilen hat, sprengt alle Grenzen. Chris von Rohr outet sich als eine grundehrliche Haut, da sind keine Tabus auszumachen und auch keine gekünstelte Diplomatie. Das Buch beginnt mit der Jugendzeit, der Autor beschreibt seine ersten Berührungspunkte mit der Musik, mit dem Frührock, aber auch mit der „First Love“, mit seiner ersten Liebe, die seine Musik enorm gepusht hat. Vor allem aber ist zwischen den Zeilen dieser unbändige Stolz herauszulesen, dieser berechtigte Stolz des Chris von Rohr, zusammen mit ein paar erlesenen Kollegen gleich zweimal ein neues Lebensgefühl in die Welt gesetzt zu haben: Zuerst jenes von Peace & Love im Hippiezeitalter, dann jenes des Rock’n’Roll. Grossartige Feelings waren das, welche Tür und Tor zu wunderbaren und zauberhaften Welten weit aufstiessen.

Die Flower-Power-Welle schlug im Jahr 1967 „in alle Blumenbeete ein“, auch in jenes von Chris von Rohr. Diese „Hippiesymphonie number one“, diese Meisterwerke, welche die Beatles damals vorlegten, hätten ihm das Gefühl gegeben: „Alles ist möglich, musikalisch und überhaupt.“ (Chris von Rohr, S. 60). Allerdings erlebte der Autor den Anfang der Siebziger als eine Zäsur: „Das Ende der Beatles, den Anfang von Led Zeppelin und die ersten Rocktoten. Brian Jones, Janis Joplin, Jimi Hendrix und Jim Morrison waren alle plötzlich weg. Sie begründeten den Lieblings-der-Götter-Bullshit-Mythos-Klub 27. Live fast, die young.“ (Chris von Rohr, S. 87). Lebe schnell, sterbe jung? Nein, das war nicht die Welt des Chris von Rohr. Er nahm regelmässig Auszeiten, er verlegte sich aufs Lesen. Er las innert kürzester Zeit das Gesamtwerk von Hermann Hesse, dem Hippie-Poeten. Mit Hermann Hesse hob er ab, hinauf zum Himmel und hinunter in die Hölle.

Mit Hermann Hesse ins Rock-Zeitalter. Wie wunderbar formuliert Chris von Rohr: „Es ist mit Hesse wie mit Mozart: Hast du erst einmal mit dem bittersüssen Genuss begonnen, so lässt er dich nicht mehr los. Er war einer meiner wirklich grossen Lehrer. Noch heute lausche ich häufig seinen Sätzen und tauche in gewisse Stimmungen und Bilder ein.“ (Chris von Rohr, S. 92). Bei Hermann Hesse scheint Chris von Rohr „gelernt“ zu haben, worauf es in diesem rauen Leben wirklich ankommt: „Jeder junge Mensch, jeder Suchende, der sich nicht mehr selbst belügen will, schwankend zwischen Himmel und Hölle, geprägt von Sinnkrisen und Krämpfen, sollte mal die ersten zwei Seiten von Demian lesen, bevor er seine Reise in diese kalte Scheinwelt antritt und vielleicht zu früh resigniert oder hoffnungsvoll scheitert.“ (Chris von Rohr, S. 92). Wären diese Sätze des Rockidols Chris von Rohr nicht auch dazu angetan, die heutige in Schockstarre gefangene junge Generation wieder zu neuen Ufern aufbrechen zu lassen?

Kein Kind von Traurigkeit. Was die Autobiographie auch zu Tage fördert: Die wilden Rock-Typen von damals waren keine Kinder von Traurigkeit. Ihre unglaubliche Power und ihre umwerfende Selbstsicherheit und Ausstrahlungskraft holten sie sich an den grossen Events jener Zeit, an Konzerten und Live-Auftritten in England und Amerika, aber auch im heimischen Hallenstadion in Zürich. Da waren Bad Boys wie Chris von Rohr in ihrem Element, sie liebten das Verrückte, sie mochten das Verschrobene, sie versuchten das Undenkbare.

Das grosse Homecoming. Jede Zeile von „Himmel, Hölle, Rock’n’Roll“ offenbart, mit wie viel Herzblut Chris von Rohr zu Papier gebracht hat, was ihn geformt und was ihn angetrieben hat, ganz nach dem Motto: Ich schreibe, also bin ich. Der ehemalige Krokus- und Gotthard-Star, jetzt also mit seinem Homecoming, und das als Buchautor. Meine Empfehlung: Chris von Rohrs „Himmel, Hölle, Rock’n’Roll“ lesen und wirken lassen. Das ist die beste Medizin für einen Aufbruch mit viel Power ins Neue Jahr.

Text und Foto: Kurt Schnidrig