Das Ende des Alterns

Bei einem Kaffee mit Milena Moser. Sie schreibt über „Das schöne Leben der Toten“.
(Foto: Kurt Schnidrig)

Wir trafen uns zum Kaffee in der Briger Bahnhofshalle. Milena Moser, die erfolgreiche Schweizer Schriftstellerin, war auf Durchreise. Sie lebt jetzt in Santa Fe und San Francisco. Beim Kaffeegespräch wirkte sie sehr aufgestellt und lebenslustig. Erstaunlich, was sie derzeit beschäftigt. Es ist dies nichts weniger als das Leben nach dem Tod, und dieses Leben soll ganz anders sein, als wie wir uns das vorstellen. Mexiko ist in ihr Lebenszentrum gerückt, denn jenseits des grossen Teichs lebt sie mit einem mexikanischen Künstler, einem Indianer, zusammen. In Mexiko gibt es keine traurigen Engelchen aus Kunststoff auf den Gräbern. Die Friedhöfe dort leuchten in frühlingshafter Blumenpracht. Gemäss dem Glauben der mexikanischen Indianer kommt die beste Zeit im Leben erst nach dem Tod. Milena Mosers neues Buch heisst folgerichtig: „Das schöne Leben der Toten“. Aber warum denn so lange warten? Bis endlich unser letztes Stündlein schlägt, ist eine lebensfrohe und beschwerdefreie Zeit angesagt, eine sehr lange Zeit. Kein Problem, 113 Jahre alt zu werden! Wie das geht, das beschreibt jedoch nicht Milena Moser, das haben Forscher der renommierten Harvard Universität herausgefunden. Einer von ihnen ist David A. Sinclair. Und sein Buch trägt den verführerischen Titel: „Das Ende des Alterns“.

Möchten Sie 113 Jahre alt werden? Kann man machen, kein Problem. 113 Jahre alt werden, das kann jede und jeder. Das schreibt der australische Genetiker David Sinclair, der an der exzellenten Harvard Universität lehrt. Sein Buch trägt den vielversprechenden Titel „Das Ende des Alterns“. Für mich ist dieses Buch das herausragende Sachbuch des vergangenen Jahres. Für den Autor ist Altwerden kein natürlicher Prozess. Altwerden ist eine Krankheit, schreibt Sinclair, und die „Krankheit Altwerden“ ist verantwortlich für alle anderen Krankheiten wie Krebs, Herzinfarkt, Arthritis und Alzheimer. Alle diese Krankheiten seien bloss Symptome des Altwerdens, will der Harvard-Forscher herausgefunden haben. Wenn wir also das Altwerden bekämpfen können, dann verschwinden auch alle anderen Krankheiten, lautet seine Schlussfolgerung. Das hört sich logisch an. Wie lässt sich aber das Alter bekämpfen?

Das Älterwerden bekämpfen? David Sinclair hat Sensationelles herausfunden: Verantwortlich für unsere Lebensdauer sind die sogenannten Langlebigkeitsgene. Sinclair hat nun das Molekül entdeckt, das unsere Langlebigkeitsgene stoppt, und das so den Zeitpunkt unseres Todes bestimmt. Wenn man also dieses Molekül manipulieren kann, das unsere Stunde des Todes bestimmt, dann lässt sich der Tod um Jahrzehnte hinausschieben, mindestens bis zum 113. Geburtstag, hat der Harvard-Forscher Sinclair berechnet. Wer demnach locker die hundert Jahre Lebenszeit überschreiten möchte, der müsste ganz einfach einen medizinischen Cocktail zu sich nehmen. Und dann, ja dann sei ein langes Leben, mindestens bis zum 113. Lebensjahr, möglich, schreibt Sinclair in seinem Sachbuch „Das Ende des Alterns“.

Schon fast euphorisch optimistisch. Wie seriös sind derartige Versprechungen zwischen Buchdeckeln? Lässt sich das Älterwerden tatsächlich medikamentös bekämpfen? Kann man 113 Jahre alt werden? Eine gewisse Skepsis ist wohl angebracht. Der Autor des Buches „Das Ende des Alterns“ gibt sich schon fast unglaublich optimistisch. Was ihn und seine Forschungen in ein zweifelhaftes Licht rücken, das sind seine Anbindungen an die Pharmaindustrie. Sinclair ist an kommerziellen Unternehmungen beteiligt. Doch auch wenn die Prophezeiungen des ansonsten seriösen Harvard-Forschers zutreffen sollten, müsste sich ein kritischer Leser nach der Lektüre dieses Buches auch noch eine ganz andere Frage stellen: Ist eine Welt, in der es Milliarden Patienten gibt, die von der Krankheit des Älterwerdens geheilt werden möchten, überhaupt wünschenswert?

Sofort umsetzbare Ratschläge gegen frühzeitiges Altern. Immerhin habe ich im Buch „Das Ende des Alterns“ auch noch andere, und vor allem durchaus brauchbare und sofort umsetzbare, Ratschläge gefunden. Dazu gehören die folgenden Tipps für ein längeres Leben: 1. Die Kalorienzufuhr drastisch einschränken, also nur sehr wenig essen. 2. Immer in Bewegung bleiben. 3. Proteinarme Ernährung. 4. Unterkühlung, also sich bewusst der Kälte aussetzen und die Heizung abschalten. Dies sind vier wirksame Ratschläge für ein langes (längeres) Leben, die nicht viel kosten und die ziemlich sicher funktionieren. Nur, auch dies muss gesagt sein: Irgendwann geht es mit uns zu Ende, auch dann, wenn man wenig isst, auch wenn man sich viel bewegt, und auch, wenn man sich einen abgefroren hat und komplett unterkühlt ist. Irgendwann geht es mit uns zu Ende. Irgendwann ist die Party aus. Das ist todsicher.

David Sinclair und Milena Moser haben einiges gemeinsam. Beide versuchen, uns die Angst zu nehmen. Der eine vor dem Älterwerden, die andere vor dem Tod und dem Leben danach. David Sinclair verspricht sich einen medizinischen Sieg gegen das Älterwerden, Milena Moser vertraut auf den indianischen Jenseitsglauben. Beide versuchen mit Lockerheit und Unbeschwertheit die letzten unausweichlichen Tabus der Menschheit abzumildern und wegzuzaubern. Diese Strategie ist altbekannt und hat sich bewährt. Auch Schauspieler Humphrey Bogart, bekannt aus dem Film Casablanca („Schau mir in die Augen, Kleines“), soll kurz vor dem Tod in Lockerheit gemacht haben. Es sei ein Fehler gewesen, von Scotch auf Martini umzusteigen, soll er auf dem Sterbebett gesagt haben.

Text und Foto: Kurt Schnidrig