Eine Minute vor zwölf

Was bringt das Jahr 2020? Viele Bücher handeln von Endzeit-Visionen. Es ist eine Minute vor zwölf, wir müssen handeln.
(Foto: Kurt Schnidrig)

Trotz der fortschreitenden Digitalisierung ist es immer noch ein grosser Traum von vielen von uns, ein Buch zu schreiben. Daran wird sich auch im Neuen Jahr nichts ändern. Ob Promis, ob Sportstars, ob im Showbusiness, in Wirtschaft und Politik oder im Kulturbereich tätig, das Schreiben eines eigenen Buchs ist angesagt und bleibt das Nonplusultra im Medienbereich. Trotz der grossen digitalen Konkurrenz und trotz der Bilderwelt, in der wir alle leben, ist das Bedürfnis, sich beim Lesen eigene Bilder zu erschaffen, ungebrochen. Auch wenn die jüngst publizierte PISA-Studie den jungen Schweizerinnen und Schweizern eine nur mittelmässige Lesekompetenz bescheinigt, ist dies noch lange kein Grund, ausschliesslich zu kurzen Texten im SMS- und Whatsup-Stil überzugehen. Auch im Neuen Jahr werden grossartige Erzählwerke zwischen Buchdeckeln die Grundlage und den Ausgangspunkt bilden für die übrigen Medien, insbesondere auch für Literatur-Verfilmungen, und sie werden als Auslöser fungieren für multimediale Spektakel in mannigfacher Form.

Grosse Dramen und Epen. Unsere Welt braucht das Drama, das Epos, das vielseitige stimmungsvolle Erzählen zwischen Buchdeckeln. Vor allem gut recherchierte historische Romane gehören zu den gefragten Erzählwerken. Sowas fasziniert heutige Leserinnen und Leser: Eine gut recherchierte Historie, verpackt in eine spannende Story, die uns das frühere Leben näher bringt, jenes Leben, das uns geprägt hat, in dem wir unsere Wurzeln haben, das Leben mit unserer persönlichen Geschichte. Wie sind wir zu dem geworden, was wir heute sind? Biographische Bücher, häufig auch kombiniert mit Endzeit-Visionen, werden im kommenden Literaturjahr zu Bestsellern avancieren.

Von Isaac Asimov bis Maja Lunde. Neu ist das literarische Genre der historischen Spurensuche und der Endzeit-Visionen keineswegs. In diesen ersten Januartagen erscheinen die neu aufgelegten Werke des russischen Biochemikers Isaac Asimov. Am 2. Januar wäre er hundert Jahre alt geworden. Asimov verfasste über 500 Werke und gehört damit zu den wichtigsten Science-Fiction-Autoren, die mit literarischen Endzeit-Visionen aufwarteten. Seine Visionen von Künstlicher Intelligenz und von „Robotik“ (von Robotern aller Art) haben sich weitgehend bereits als realistisch erwiesen, auch wenn die damit verbundenen Untergangs-Visionen zum Glück noch nicht eingetreten sind. In den Spuren von Asimovs Endzeitvisionen wandelt aktuell Maja Lunde. Ihr erster Roman „Die Geschichte der Bienen“ war schon 2015 ein Welterfolg. Die deutsche Übersetzung gehört seither zu den erfolgreichsten Büchern im deutschsprachigen Raum. In diesen Tagen erscheint von ihr „Die Letzten ihrer Art“, ein Abgesang auf die letzten noch existierenden Wildpferde. Das aktuelle Buch gehört zu einem auf vier Bücher angelegten „Klima-Quartett“. In jedem dieser vier Bücher erzählt Maja Lunde ineinander verwobene Geschichten, die in verschiedenen Epochen spielen. Alle diese Bücher handeln von Endzeit-Visionen und immer ist es für die darin geschilderten Lebewesen „Eine Minute vor zwölf“.

Eine Minute vor zwölf ist es auch in zahlreichen anderen Büchern, die im Neuen Jahr mit Endzeit-Visionen die Leserinnen und Leser bewegen und berühren werden. Auch wer Wortschöpfungen wie „Klimawandel“ oder „Erderwärmung“ bereits nicht mehr hören mag – diese Phänomene werden uns während des kommenden Jahres in neuer Verpackung und auf vielfältige Art und Weise erneut beschäftigen. Soeben erschienen ist bei Rowohlt das Buch „Am Tag zu heiss und nachts zu hell“ von Hanns-Christian Gunga, einem Universitätsprofessor für Weltraummedizin und Extreme Umwelten. Was sein Buch mit aller Deutlichkeit propagiert: Der Mensch ist ein unfassbares Wesen, das seine eigentlichen Bedürfnisse ignoriert und mit Füssen tritt, bis es dann irgendwann einfach nicht mehr weitergeht, und bis der Vorhang in diesem tragischen Welttheater endgültig fällt.

Wer hat hier gelebt? Wie ernst die Buchautoren unsere derzeitige Lage einschätzen, das zeigt der Bildband mit dem Titel „Wer hat hier gelebt?“, der im Verlag Brandstätter erschienen ist. Die Autoren Ilija Trojanow und Thomas Macho haben verlassene Orte aufgesucht, welche unsere Vergänglichkeit zeigen. Drastische Bilder und aufrüttelnde Texte sollen uns sensibilisieren für eine Welt, wie sie in 20 bis 100 Jahren nach dem Verschwinden der Menschheit aussehen könnte. Die Leserschaft kann sich schon mal gewöhnen an Geisterstädte, an verfallene Fabriken, an ruinenhafte Hotels und an Theatersäle, die vom Zahn der Zeit zerfressen sind. Und immer wird uns beim Betrachten der Bilder und beim Lesen der Texte bewusst: Hier träumten Menschen ihren Lebenstraum, und hier zerfiel in Schutt und Asche, was einmal als zauberhaft und wundervoll galt.

Text und Foto: Kurt Schnidrig