Patricia Highsmith: Wenn das Böse siegt

Vor dem Sherlock Holmes Museum in London: Als noch das Gute über das Böse siegte…

Es ist nun genau 25 Jahre her, seit die vielleicht wichtigste Autorin von Kriminalliteratur in Locarno starb. Patricia Highsmith kam 1921 in Texas zur Welt. 1963 übersiedelte sie nach Europa und liess sich schliesslich im Dörfchen Tegna im Tessin nieder. 1995 starb sie in einem Krankenhaus in Locarno. In Europa genoss sie als Krimi-Autorin ein hohes Ansehen, in den USA jedoch ging die Literaturkritik mit ihr hart ins Gericht. Dies vor allem deshalb, weil das Lesepublikum nicht bereit war, ihren psychopathischen Romanhelden Tom Ripley zu akzeptieren. Patricia Highsmith bekannte offen ihre Faszination für das Böse und dessen Sieg über das Gute. Dürfen Kommissare labil und krank sein? Darf im Krimi das Böse über das Gute triumphieren?

Das literarische Erbe von Patricia Highsmith. Psychisch kranke Kommissare und Krimi-Helden ermitteln auch heute wieder im deutschen Krimi. Es scheint, als hätte Patricia Highsmith das Krimi-Genre pervertiert. Viele Kommissare sind beziehungsunfähig, süchtig, traumatisiert – oder gar alles gleichzeitig. Peter Faber aus dem sonntagabendlichen Fernsehkrimi „Tatort“ ist ein Beispiel dafür. Auch Ermittlerin Lena Odenthal ist nahe dem Burnout. Die Ermittler in aktuellen TV-Krimis sind auf Erfolg fixiert, sie fürchten bei Erfolglosigkeit ihren Job zu verlieren. Damit sind auch die Voraussetzungen gegeben, dass Ermittler zu Tätern werden. Auch Ermittler verfügen heute über kriminelle Energien. Und die Täter in den Krimis treten häufig auf als Serienmörder, Sadisten, Vergewaltiger oder Stalker.

Früher waren die Ermittler integer. Sie liessen sich nichts zuschulden kommen. Der Trend, labile Kommissare in TV-Serien ermitteln zu lassen, geht nicht allein auf die Romane von Patricia Highsmith zurück. Viel später waren es vor allem amerikanische Streaming-Serien, welche diesen Trend verbreiteten. Die Idee dahinter ist, die Krimis psychologisch interessanter und vieldeutiger zu gestalten. Wo nur ist der entspannte Ermittler im Stile eines James Bond oder gar eines Sherlock Holmes geblieben?

Im Sherlock-Holmes-Museum in London kann sich jedermann als Sherlock Holmes verkleiden, in dessen Stuhl vor dem Kamin sitzen und sich so in die Person des autoritären und absolut integren Meisterdetektivs einfühlen. Die Personalie des Meisterdetektivs war derart beeindruckend und überzeugend, dass seine Arbeitsmethode, die auf detailgenauer Beobachtung und nüchterner Schlussfolgerung beruhte, die Kriminalistik auch im wahren Leben befruchtet hat. Mit Patricia Highsmith und ihrer Hauptfigur Tom Ripley hielt der Sieg des Bösen über das Gute in der Kriminalliteratur Einzug. Die psychische Gesundheit der heutigen Fernsehkommissare ist nun aber zur Chefsache geworden: Verantwortliche für Film- und Fernsehdramaturgie kommen zum Schluss, dass moderne Krimis häufig eine falsche Vorstellung vermitteln. Sie bestätigen das Vorurteil, dass Menschen mit einer psychischen Störung gewalttätig sind.

Text und Foto: Kurt Schnidrig