Frühling wie er im Buche steht

„Frühling lässt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte…“ (Foto: Kurt Schnidrig)

Für alle, die jetzt Schnee, Regen, Kälte und Corona-Krise endgültig satt haben, empfehle ich ein Frühlings-Lesebuch. Auch wenn wir in den kommenden frühlingshaft-warmen Tagen der Empfehlung des Bundesrates Folge leisten und zu Hause bleiben müssen, gilt: Mit diesem Buch in den Händen lässt sich der Frühling in allen Farben geniessen. In Prosatexten und Gedichten von berühmten deutschen und internationalen Schriftstellern erwacht die Natur und auch der Mensch zu neuem Leben.

Willkommen im Frühling. Natürlich dürfen in einem Frühlings-Lesebuch auch altbekannte Verse nicht zu kurz kommen. Ich denke dabei an Verse, die wir alle kennen und die Generationen verbinden. Das wohl bekannteste Frühlings-Gedicht hat Eduard Mörike (1804-1875) geschrieben. Er war evangelischer Pfarrer und haderte bis zu seiner frühen Pensionierung mit seinem Pfaffen-Dasein, womit er lediglich seinen Lebensunterhalt bestritt. Seine Liebe galt der Lyrik und dem Erzählen. Unsterblichkeit erlangt hat er mit seinem Frühlingsgedicht „Er ist’s“.

Die Sehnsucht nach dem Frühling hat Eduard Mörike mit Versen verewigt. (Foto: Schnidrig)

Er ist’s. – Frühling lässt sein blaues Band / Wieder flattern durch die Lüfte; / Süsse, wohlbekannte Düfte / Streifen ahnungsvoll das Land. / Veilchen träumen schon, / Wollen balde kommen. / Horch, von fern ein leiser Harfenton! / Frühling, ja du bist’s! / Dich hab ich vernommen!

Frühlingshafte Aufbruchstimmung. Mit dabei in einem Frühlings-Lesebuch sind auch immer Texte, die Mut machen und Aufbruchstimmung vermitteln. Der bedeutendste Lyriker und Schriftsteller der deutschen Romantik war Joseph von Eichendorff (1788-1857). Er hat diese frühlingshafte Aufbruchstimmung wie kein anderer in Verse gefasst. Frühling ist die Jahreszeit des Wanderns und Reisens, die Jahreszeit auch, die dazu einlädt, auf grosse Fahrt zu gehen. Der Postillon, der die Pferde anspannt, und der hoch auf dem gelben Wagen ins Posthorn bläst – dies ist eine zutiefst romantische Metapher für die frühlingshafte Aufbruchstimmung:

Frische Fahrt. – Laue Luft kommt blau geflossen, / Frühling, Frühling soll es sein! / Waldwärts Hörnerklang geschossen, / Mut’ger Augen lichter Schein; / Und das Wirren bunt und bunter / Wird ein magisch wilder Fluss, / In die schöne Welt hinunter / Lockt dich dieses Stromes Gruss. / Fahre zu! Ich mag nicht fragen, / Wo die Fahrt zu Ende geht!“

Der Frühling im Volksmund. Selbstverständlich wartet ein Frühlings-Lesebuch auch mit Sprüchen und Bauernregeln auf. „Die erste Liebe und der Mai, gehen selten ohne Frost vorbei.“ Naja, Mai ist’s zwar noch nicht, aber die Frühlingsgefühle und die Hormone sind schon am Brodeln und am Kochen. Wer allerdings den Frühling erleben will, der muss raus aus der Stadt und ab in den Wald! Rainer Maria Rilke dichtete: „Der Frühling ist waldeigen und kommt nicht in die Stadt.“ Und in seinem Schlösschen Muzot hoch ob Sierre kam er zur Erkenntnis: „Nur die zu zweien gehen und sich bei den Händen halten, dürfen ihn, den Frühling, mal sehen.“

Der Lenz ist auf Beute aus. Der Wiener Dichter Emil Kuh (1828-1876) sah sich als bekannter österreichischer Literaturkritiker in der Pflicht, die Wienerinnen und Wiener vor dem Lenz zu warnen, der die menschlichen Triebe befeuert: „Ich sag euch was, der Lenz geht um, / Nehmt euch in acht, ihr Leute, / Er ist so heimlich, still und stumm, / Und er geht aus auf Beute!“ Und der Frühlingsdichter Franz Hessel (1880-1941) schlug dichterisch in die gleiche Kerbe: „Manchem Dichter ist’s gegeben, / Bei dem angenehmen Wetter / In dem Schatten grüner Blätter / Ganz allein sich auszuleben. / Aber ich verlorner Knabe / Fluche zu dem holden Lenze / Wenn ich niemand bei mir habe, / Der entsprechend mich ergänze.“

Also, aufpassen, liebe Leute, der Frühling geht um! Oder wie es der Dichter Morgenstern formuliert hat: „Wer die Welt nicht von Kind auf gewohnt wäre, müsste über ihr den Verstand verlieren.“

Hören Sie hier meinen Literaturwelle-Podcast zu einem Frühlings-Lesebuch aus dem Jahr 2017. Das Gespräch mit mir führte damals die rro-Moderatorin Anna-Lisa Achtermann.

Text und Fotos: Kurt Schnidrig