Osterkrimis: Statt Osternester den Mörder suchen

Ratekrimis zu Ostern haben in Norwegen eine lange Tradition. (Symbolbild: Kurt Schnidrig)

Viele norwegische Krimiautoren lancieren ihre Neuerscheinungen just auf das Osterfest hin. Die Osterzeit garantiert, dass die Krimis weggehen wie warme Weggli. Die norwegischen Osterkrimis finden je länger je mehr nun auch zu uns. Sie gehen in der Regel immer irgendwie gut aus. Der Mörder wird geschnappt und der Fall gelöst. Nicht selten werden auch die Leser*innen zum Mitraten und zum Mitermitteln aufgefordert. So kommt es dann, dass man in Norwegen zu Ostern eher den Mörder sucht, statt wie bei uns Osternester.

Osterkrimis haben Tradition. Warum Krimis in Norwegen zu Ostern so beliebt sind? Da muss man zurückblättern bis ins Jahr 1923. Am 24. März konnte man damals in der Zeitung „Aftenposten“ von einem Raub in einer Bergbahn lesen. Viele Leser*innen riefen daraufhin die Redaktion der Zeitung an, weil sie Verwandte und Freunde im Zug vermuteten. Was sie noch nicht wussten: Es handelte sich bei dieser Zeitungsmeldung um den geschicktesten Marketing-Gag in der Geschichte des Kriminalromans. Es stellte sich heraus, dass sich hinter der Nachricht ein Buchautor verbarg, der auf diese Weise seinen neuesten Krimi bekannt machte. Es war also einfach nur ein Reklametrick, der aber eine lange Tradition nach sich ziehen sollte. Von nun an erwarteten nämlich die Leser*innen jedes Jahr zu Ostern neue Krimigeschichten.

Wahre Geschichten in Krimis verpackt. Aus der Flut von Osterkrimis aus Norwegen möchte ich einen ganz besonderen Klassiker empfehlen. Von Anne Holt stammt der Krimi „Schattenkind“. Es ist dies ein Krimi mit einem erschreckend wahren Hintergrund. Zum Inhalt: Es herrscht Ausnahmezustand in Oslo. Gleichzeitig mit den historischen Fakten, einem Anschlag auf das Regierungsgebäude und dem Massaker von Utoya, stürzt ein Junge von einer Leiter und zieht sich tödliche Verletzungen zu. Die Polizeipsychologin wittert einen Zusammenhang mit den Anschlägen von Utoya. Die Krimi-Autorin Anne Holt greift hier ein sehr sensibles Thema auf, sie tut dies aber mit dem nötigen Fingerspitzengefühl. Anne Holt, geboren 1958, hat einen Lebenslauf, der sie als Krimi-Autorin qualifiziert. Sie war jahrelang im Polizeidienst tätig, dann setzte sie sich als Rechtsanwältin ein gegen das organisierte Verbrechen. 1996 wurde sie gar norwegische Justizministerin. Nachdem sie dieses Amt jedoch krankheitsbedingt aufgeben musste, verlegte sie sich auf das Schreiben von Kriminalromanen.

Dunkle Krimi-Geschichten zur festlichen Osterzeit? Naja, jedermanns Sache ist es vielleicht nicht, zu Ostern derart makabre Kriminalfälle aufzulösen. Oder vielleicht doch? Bekanntlich fühlen sich manche Leser*innen mitten im blühenden Frühling ganz besonders zu dunklen Krimi-Geschichten hingezogen. Warum das so ist? Vielleicht, weil sich das Gegensätzliche immer schon angezogen hat. Trotzdem wird der Erfolg der norwegischen Osterkrimis ein Geheimnis und ein Mysterium bleiben. Literaten sprechen vom sogenannten „Paskekrim-Phänomen“, denn ein „Paskekrim“, zu deutsch ein Osterkrimi, ist in Norwegen ein österliches Überraschungs-Geschenk wie der Schoko-Hase bei uns. Beide haben eine lange Tradition, und bei beiden weiss niemand mehr so genau, warum dies so ist.

Text und Foto: Kurt Schnidrig

Hören Sie hier den Podcast aus meiner Sendung „Literaturwelle“ zum Osterkrimi-Klassiker von Anne Holt aus dem Jahr 2015.