Romantherapie: Sich glücklich lesen

Romantherapie mit Weltliteratur: Vor dem Wohnhaus von Hermann Hesse in Montagnola. (Foto: Schnidrig)

Im vergangenen Herbst sass ich gedankenversunken vor der Villa des Schriftstellers Hermann Hesse in Montagnola. Zu meinen Zeiten als Mittelschullehrer und später als Dozent für Deutsche Literatur an der Hochschule war es mir ein Anliegen, keine Abschlussklasse ins Berufsleben zu entlassen, ohne mit ihr mindestens den einen oder anderen Roman von Hermann Hesse gelesen zu haben. Mit über hundert Mitwirkenden brachte ich überdies den „Demian“ von Hesse als Musiktheater auf die Bühne des La Poste Theaters in Visp. In den späten 60er Jahren galt Hesse als der Popstar der Jugend. Dies wohl aufgrund seiner Romane und Erzählungen wie „Demian“, „Unterm Rad“ und „Der Steppenwolf“. Diese Romane funktionieren bestens auch als Erziehungsratgeber. Eine Romantherapie für Kinder und Jugendliche wird heute von psychologischer Seite her explizit empfohlen. (Vgl. zum Beispiel Ella Berthoud, Susan Elderkin: Die Romantherapie für Kinder. 233 Bücher, die Kinder glücklich, gesund und schlau machen. Insel, Berlin. 360 Seiten).

Romantherapie für Jugendliche. Mit einem Buch können Erziehende ihre Sprösslinge ermuntern und ermahnen. Mit Empfehlungen von hilfreicher Literatur lassen sich sture Erziehungsmassnahmen oftmals vermeiden. Die Autorinnen Ella Berthoud, Susan Elderkin und Traudl Bünger haben nun sogar ein therapeutisches Buch verfasst, das wie ein medizinisches Nachschlagewerk von A bis Z funktioniert. Das Nachschlagewerk trägt den Titel „Die Romantherapie für Kinder“. Es kann konsultiert werden zu den verschiedensten „Leiden“, zu Verhaltensauffälligkeiten, sozialen Defiziten, Charakterschwächen, auch zu körperlichen Beschwerden und zu psychischen Störungen. Zu all diesen Unzulänglichkeiten, unter denen junge Menschen zu leiden haben, hält das Nachlagewerk von A bis Z eine grosse Auswahl an klassischen und zeitgenössischen Kinder- und Jugendbüchern bereit.

Können Romane von gesundheitlichem Nutzen sein? Die Antwort ist wohl: Sie können, müssen aber nicht. Die Autorinnen der „Romantherapie für Kinder“ schreiben der Lektüre eine grosse Wirkungskraft zu. Sowas lässt sich je nach Werk und dessen Inhalten vertreten. Trotzdem sei angemerkt, dass grosse Literatur und schöngeistige Romane niemals so nutzenorientiert und eindimensional verstanden werden sollten. Romane funktionieren nicht so prompt und nach Gebrauchsanweisung wie dies etwa medizinische Ratgeber für sich beanspruchen. Ein Roman sollte von Erzieher*innen nicht einseitig und manipulativ als „Heilmittel“ missbraucht werden, denn er ist ein ganzheitliches, fiktives Erzählwerk. Zudem wählen junge Menschen ihre Lektüre häufig selbst und gemäss ihren eigenen Bedürfnissen aus. So war es auch bei „Demian“ von Hermann Hesse, den ich vor einigen Jahren als Musiktheater auf die Bühne des La Poste-Theaters in Visp brachte.

Der Guru für die Jugend der Welt. Wenn ich die Romane eines Schriftstellers für eine „Romantherapie“ anpreisen sollte, dann würde ich mich für jene von Hermann Hesse entscheiden. Warum? Mit über hundert Jugendlichen brachte ich vor fünf Jahren das Stück „Emotionen“ auf die Bühne des La Poste Theaters in Visp. Es war dies eine Eigenproduktion, der wir die Erzählung „Demian“ von Literatur-Nobelpreisträger Hermann Hesse zugrunde legten. Sie war erstmals in einer Inszenierung und als Musiktheater zu erleben – eine Weltpremiere. Alle Mitwirkenden waren sich einig: Mit seinen Erzählungen ist Hermann Hesse zum Guru für die Jugend der Welt geworden.

Erwachsenwerden und Erste Liebe: Szene aus dem Musiktheater „Emotionen“, basierend auf dem Roman „Demian“ von Hermann Hesse. (Foto: Schnidrig).

Grosse Gefühle und emotionale Momente. Im Sinne einer „Romantherapie“ thematisierte unser Musiktheater die grossen Gefühle, die viele von uns von Jugend auf beflügeln: Das Erwachsenwerden – die Pubertät – die Erste Liebe – die Suche nach der eigenen Stimme in dieser Welt – der Einfluss von Krieg und Katastrophen auf die jungen Seelen – Tod und Trauer – Ruhe und Frieden – Selbstverwirklichung – ein Leben in Harmonie.

Der Einfluss von Krieg und Katastrophen auf die jungen Seelen: Szene aus dem Musiktheater „Emotionen“, basierend auf dem Roman „Demian“ von Hermann Hesse. (Foto: Schnidrig)

Sich glücklich lesen. Aus psychologischer Sicht scheint es nicht ausgeschlossen zu sein, dass Kinder und Jugendliche sich mit Hilfe einer Romantherapie glücklich lesen können. Meine persönliche Erfahrung mit dem Musiktheater „Demian“ hat überdies aufgezeigt, dass eine Romantherapie insbesondere dann erfolgreich ist, wenn die Romane nicht bloss gelesen, sondern zusätzlich zusammen mit jungen Menschen auch noch inszeniert und auf die Bühne gebracht werden.

Text und Fotos: Kurt Schnidrig