Peter Bichsel: „Auch der Esel hat eine Seele“

„Auch der Esel hat eine Seele“ – so heisst das neue Buch von Peter Bichsel.
(Symbolbild: Kurt Schnidrig)

In diesem Jahr feiert der Schweizer Schriftsteller Peter Bichsel seinen 85. Geburtstag. Frühe Texte und Kolumnen aus den Jahren 1963-1971 sind es, die nun erstmals in Buchform herauskommen. Es handelt sich um einen Band voller besinnlicher und überraschender Geschichten, wahre „Evergreens“, die aufgrund ihrer Zeitlosigkeit auch heute noch lesenswert sind. Peter Bichsel ist ein gewiefter Erzähler, der abwägt, der mit seinen Geschichten nicht rechthaberisch Wahrheit vermitteln will, der vielmehr Vorschläge unterbreitet. Seine Geschichten lassen Möglichkeiten offen. Ganz im Sinne von: So könnte es gewesen sein. Oder vielleicht war alles auch ganz anders.

Mit Kindergeschichten in den literarischen Olymp. Mit dem schmalen Bändchen „Eigentlich möchte Frau Blum den Milchmann kennenlernen“ hat er sich gleich zu Beginn seiner Schriftsteller-Karriere in den literarischen Olymp geschrieben. Die Diskussion darüber, ob es sich dabei wirklich um Geschichten für Kinder handelt, ist immer noch nicht abgeflaut. Die Protagonisten in den „Kindergeschichten“ sind allesamt ältere Männer, alle einsam und ein bisschen „verrückt“. Die Lektüre dieser Geschichten amüsiert bis heute Junge und auch Ältere. Beim Wiederlesen offenbaren diese Geschichten aber auch etwas Trauriges und Melancholisches.

Primarlehrer und Multitalent. Als Sohn eines Handwerkers in Luzern geboren, wuchs Peter Bichsel ab 1941 in Olten auf. Am Lehrerseminar von Solothurn liess er sich zum Primarlehrer ausbilden, bis 1968 unterrichtete er auf Primarschulstufe. Er ehelichte im Jahr 1956 die Schauspielerin Therese Spörri und wurde Vater einer Tochter und eines Sohnes. Sich selber bezeichnet Peter Bichsel als Sozialist. Zwischen 1974 und 1981 schuf er sich als persönlicher Berater und Redenschreiber für Bundesrat Willi Ritschard einen Namen. Mit dem Schriftsteller Max Frisch war er bis zu dessen Tod eng befreundet. Unvergesslich sind Peter Bichsels Bestseller über die Schweiz wie „Des Schweizers Schweiz“, „Schulmeistereien“ oder „Die Totaldemokraten“.

Paris als ein Ort der Sehnsucht. Unvergesslich sind die Kürzestgeschichten aus dem Bändchen „Zur Stadt Paris“. Paris ist für den Literaten Peter Bichsel ein Sehnsuchtsort. Um sich diese Sehnsucht zu bewahren, hatte er sich geschworen, niemals nach Paris zu reisen. Bichsels Geschichten drehen sich meist um Alltägliches, etwa: Fühlt man sich anders, wenn man sich anders kleidet? Zuweilen durchbricht Bichsel aber das Alltägliche und provoziert seine Leser*innen mit einem offenen Schluss. Etwa in der Geschichte von Franz Grütter, der plötzlich eine Frau in seinen Armen hält und nun nicht weiss, was er mit dem unverhofften Geschenk anfangen könnte.

Persönliches Gespräch mit Peter Bichsel. Vor längerer Zeit habe ich ein Interview mit dem beliebten Schweizer Autor geführt, das ich meinen Leser*innen und vor allem auch Hörer*innen nicht vorenthalten möchte. Das Gespräch passt bestens zum neuen Bichsel-Buch, das ja ebenfalls frühe Texte und Kolumnen versammelt. Ich habe das Gespräch am Schluss dieses Beitrags als Podcast zum Nachhören angefügt. Ich habe mit Peter Bichsel über das Erzählen gesprochen, aber auch über seine Ideen von einer Welt ohne Kriege und ohne das amerikanische Bösewicht-Denken. Ich habe dabei einen politisch engagierten Literaten entdeckt, der weit mehr vorlegt als Kolumnen und Geschichten.

„Erzählen bedeutet, einem Ereignis eine künstliche Zeit geben. Erzählen heisst, ein Menschenleben auf fünf Minuten zusammenschmelzen.“

Peter Bichsel im Interview mit Kurt Schnidrig

Was eigentlich macht gutes Erzählen aus? Dies wollte ich vom leidenschaftlichen Erzähler Peter Bichsel wissen. Für ihn sei Erzählen ein Umgang mit der Zeit, erläuterte er mir. Erzählen bedeute, einem Ereignis eine künstliche Zeit zu geben. In der Erzählung könne ein Menschenleben auf fünf Minuten zusammenschmelzen. Unser Alltag sei voller Geschichten, man müsse sie nur erkennen. Warum er aber in seinen neueren Werken so viele Informationen in Anmerkungen verpacke? „Gute Erzähler brauchen Anmerkungen“, beschied mir da Peter Bichsel schlagfertig. Nur wer abschweife und Assoziationen habe, der sei ein guter Erzähler. Und er erklärte mir an einem Beispiel, was gemeint ist: Wer etwa aus der Wüste komme und von ihr erzähle, der assoziiere und vergleiche die Wüstenlandschaft mit den Verhältnissen auf dem Land bei uns in der Schweiz.

„Ein Betrunkener hat genauso eine Geschichte zu erzählen wie ein Bub, der eine Scheibe eingeschlagen hat.“

Peter Bichsel im Interview mit Kurt Schnidrig

Gibt es den amerikanischen „Antichrist“? Seit dem Vietnamkrieg habe ihn nichts mehr so sehr beschäftigt wie der vergangene Serbien-Krieg, gestand mir Peter Bichsel. Dahinter stehe die Vorstellung der Amerikaner, dass es einen Antichrist gebe. Früher sei der Antichrist Saddam Hussein gewesen oder Gaddafi, später die Serben. Die Amerikaner führten militärische Straffeldzüge gegen immer neue „Bösewichte“. Persönlich sei er nicht gegen Gewalt, er sei nur gegen Militär, fasste Peter Bichsel seine Einschätzungen zusammen.

„Ich bin nicht gegen Gewalt, ich bin nur gegen Militär. Mit Armeen kann man nichts erreichen, ausser das Böse.“

Peter Bichsel im Interview mit Kurt Schnidrig

Als Alternativen zum „Antichrist-Denken“ und zur Kriegsführung der Amerikaner empfiehlt Peter Bichsel einen Wirtschafts-Boykott. Der funktioniere allerdings nur, wenn alle mitmachten. In der Vergangenheit habe es die Schweiz versäumt, dieses Mittel entschieden einzusetzen, sagte Bichsel.

Hören Sie das Interview mit Peter Bichsel im originalen Wortlaut. (Quelle: rro)

Text, Foto und Audio: Kurt Schnidrig