Wenn der Berg ruft

Für einige muss es der Mount Everest sein. Mir persönlich reicht das Glishorn. (Foto: Kurt Schnidrig)

Nun sind die Medien wieder voller Berichte von Besteigungen. Wenn der Berg ruft, dann kommen sie, die Waghalsigen, die Tollkühnen, die Abenteurer. Der Berg kann nicht hoch, steil und gefährlich genug sein. Berge werden „bezwungen“ und „besiegt“. Damit lässt sich dann vortrefflich plagieren und angeben. Natürlich kann man das auch philosophisch sehen. Es geht ja auch darum, die eigenen Grenzen auszuloten. Das eigene Leben erscheint heute vielen allzu spiessig und allzu abgesichert. So gesehen wird das Bergsteigen zu einem Kick, zu einem steinigen Weg auf der Suche nach ein bisschen Glück. Für mich reicht dafür mein Hausberg, das Glishorn. Für andere muss es der Mount Everest sein.

Hans-Peter Duttle ist einer von denen, die mit Extremsport, mit Klettern und Bergsteigen, sich befreien wollen von einem Leben, in dem Freude und Zuversicht fehlen. Bergsteigen allein genügt ihm nicht. Gerne darf es dabei auch „illegal“ zugehen. Von Zermatt aus hatte er sich aufgemacht, um den Mount Everest vom verbotenen Tibet aus zu besteigen. Dazu passend war er schlecht ausgerüstet, ohne Träger, ohne Satellitenfunk, ohne medizinische Betreuung. Nicht einmal eine höhentaugliche Sonnencrème hatte sich der Mann gegönnt. So was nennt sich Himmelfahrtskommando. Eigentlich logisch, dass seine Expedition am Everest dramatisch scheiterte. Retter mussten sich in Todesgefahr begeben, um den Mann aus dem Berg zu holen. Nun hat er darüber ein Buch geschrieben. Das Buch trägt den Titel „Illegal am Everest. Mein steiniger Weg auf der Suche nach dem Glück“ (wörterseh Verlag).

„Man weiss selten, was Glück ist, aber man weiss meistens, was Glück war.“

Françoise Sagan, Schriftstellerin

Alles begann in Zermatt. Bergsteiger und Autor Hans-Peter Duttle kam bereits traumatisiert ins Wallis. Geboren ist er im Libanon. Dort wütete ein Bürgerkrieg. Eine Familientragödie hat ihn fürs restliche Leben gezeichnet. Dann brach auch noch der Zweite Weltkrieg aus. Hans-Peter Duttle wollte der kriegerischen Realität entfliehen. Hatte er sich vorerst noch mit Büchern über berühmte Abenteurer und Entdecker trösten können, genügte es ihm bald nicht mehr, sich lesend ins Leben der Protagonisten einzufühlen. Er wollte selber werden wie die Protagonisten, über die er in der Abenteuerliteratur las. Zu diesem Zweck begab er sich in die hochalpine Region rund um Zermatt. An den Bergen im Mattertal erlernte er das Klettern und das Bergsteigen von Grund auf. In Zermatt traf er auch Kollegen, die zu allem bereit waren, auch zur illegalen Kletterei am berühmtesten Berg der Erde.

Von Zermatt zum Mount Everest. Zusammen mit drei Amerikanern hatte sich Hans-Peter Duttle aufgemacht, um den Mount Everest von der illegalen tibetischen Seite her zu bezwingen. Für ihn habe diese Expedition auch eine spirituelle Seite gehabt, schreibt er in seinem Buch. Nachdem er das Himalaya-Abenteuer mit viel Glück überlebt hatte, bestimmten Ruhelosigkeit und Risikobereitschaft weiterhin sein Leben. Zurück in der Schweiz, holte ihn nämlich das spiessige und allzu abgesicherte Leben von neuem ein. Da wanderte er in den hohen Norden von Kanada aus, um dort ein Leben unter den Inuits zu führen. Erst im Alter ist er vor wenigen Jahren zurückgekehrt in die Schweiz. Vor zwei Jahren erschien nun sein Buch „Illegal am Everest“, in dem er seinen steinigen Weg auf der Suche nach Glück beschreibt.

Auf der Spitze des Glishorns mit einer atemberaubenden Aussicht belohnt. Wie viel Risikobereitschaft braucht es für den „Kick zum Glück“?

Ob Hans-Peter Duttle nun Glück und Frieden gefunden hat? Auf seinem Himalaya-Abenteuer hatte er mannigfache Herausforderungen angenommen und überstanden. Dabei hatte er alles Glück dieser Erde beanspruchen müssen. Bescheiden und einsichtig geworden, stellt er nun seiner Lebensgeschichte ein Zitat der französischen Schriftstellerin Françoise Sagan voran: „Man weiss selten, was Glück ist, aber man weiss meistens, was Glück war.“ Françoise Sagan erklärt in ihrem Roman „Bonjour Tristesse“, was in den vielen Waghalsigen und Tollkühnen vorgeht, die in diesen Tagen die höchsten Berge erstürmen. In ihrem Roman singt Juliette Gréco das Chanson „I’ve lost me, that’s all I know“. Dieser Lebensphilosophie leben die vielen Abenteurer unserer Tage nach.

Hören Sie den Podcast aus der Sendung Literaturwelle zum Abenteuer „Illegal am Everest“. (Quelle: rro / Kurt Schnidrig / Joel Bieler)