Schreiben Sie Tagebuch?

Wer Tagebuch schreibt, beschäftigt sich mit sich selber, mit seinen Gefühlen, Wünschen, Träumen und Ängsten. (Foto: Kurt Schnidrig)

In einem persönlichen Tagebuch lässt sich alles festhalten, was bedrängt, beschäftigt oder beglückt. Gerade auch intime Themen wie die momentane Gefühlslage, Träume oder Wünsche darf man seinem Tagebuch anvertrauen. Ein persönliches Tagebuch ist nicht zur Veröffentlichung bestimmt und auch Nahestehende sollten nicht unerlaubt darin lesen dürfen. Ein Tagebuch gibt einen zeitnahen Eindruck wieder von dem, was man erlebt hat. In einem persönlichen Tagebuch muss deshalb alles möglich sein, von der anspruchslosen Alltagsgeschichte bis vielleicht sogar zu einer Skizze oder zu einem gemalten Bildchen.

Sich freischreiben ist angesagt, das Schreiben im Tagebuch soll keine Pflicht sein und sollte losgelöst von Regeln und Struktur stattfinden. Typisch für ein Tagebuch ist das Bruchstückhafte. Ein Tagebuch-Eintrag entbehrt jeglichen Aufbaus, und die Einträge dürfen zusammenhangslos sein. Wichtig ist aber die Regelmässigkeit. Natürlich kann man das Tagebuch-Schreiben kurzzeitig unterbrechen und zu einem späteren Zeitpunkt wieder fortführen. Das Schreiben in einem Tagebuch darf aber niemals zu einer Pflichtübung ausarten. Das Wichtigste ist wohl, dass man sich beim Tagebuch-Schreiben geistig frisch machen kann, denn das Schreiben im Tagebuch sollte sein wie Wellness für Geist und Seele. Deshalb soll gelten: Einfach nur Tagebuch schreiben, wenn man es entspannt geniessen kann.

„Tagebuch schreiben hilft, das Immunsystem zu stärken, Kummer zu verarbeiten und sogar Traumata zu bewältigen.“

James Pennebaker, Psychologe an der Universität von Texas

Das Tagebuch-Schreiben lässt sich mit dem Fachbegriff „expressives Schreiben“ definieren. Das „expressive Schreiben“ wurde seit den 1980er-Jahren immer wieder in Studien aufgegriffen und seine therapeutische Wirkung ist wissenschaftlich belegt. Die Testpersonen, die von Forschern angeleitet wurden, über traumatische Erlebnisse zu schreiben, gingen nach Abschluss der täglichen Schreibintervention innerhalb eines Experiments weniger zum Arzt, wurden allgemein nicht mehr so schnell krank und hatten eine verbesserte Lungen- und Leberfunktion. Ihre sogenannte „Resilienz“ hatte sich verbessert, das heisst, sie sind aus einer Krisensituation gestärkt hervorgegangen.

Ratschläge zum Schreiben in einem Tagebuch variieren entsprechend der Persönlichkeit, die man ist. Von allgemeiner Wichtigkeit ist aber, dass man nicht nur Rückschau hält, sondern hin und wieder auch einen Blick in die Zukunft wagt. Wo führt mein Lebensweg hin? Was möchte ich noch erreichen? Beim Schreiben sollte man sich Klarheit verschaffen über die eigene Gefühlswelt und über die gegenwärtige Stimmungslage. Dabei genügt es, einfach nur zu beschreiben, weshalb man unzufrieden ist oder warum man „aufgestellt“ und happy ist. Also im Tagebuch keine Selbstanalyse versuchen! Meist genügt es zu beschreiben, was berührt und bewegt, um das seelische Gleichgewicht wieder herstellen zu können. Es kann auch hilfreich sein, sich zu einem Satz oder zu einem Zitat eigene und weiterführende Gedanken zu machen.

Vergiss die Freude nicht! Oftmals sehen wir bloss das Negative, das Traurige und das Bedrückende im Leben. Es kann aber auch lohnend sein, sich beim Schreiben Gedanken darüber zu machen, dass unser Leben auch voller glücklicher Augenblicke und voller Zuversicht und Hoffnung ist. Es tut gut, dem Tagebuch nicht immer nur den Kummer anzuvertrauen, sondern auch mal über die liebsten Themen und Hobbys zu schreiben, über all das Schöne im Leben. Über einen tollen Film, den man gesehen hat, über ein beglückendes Buch, das man gelesen hat, über eine sportliche Leistung, die man erbracht hat, über eine unvergessliche Reise, die den geistigen Horizont erweitert hat. Das Wichtigste aber: Beim Tagebuch-Schreiben immer gnadenlos ehrlich sein! Man schreibt das Tagebuch ja für sich selber. Und da sollte man sich buchstäblich alles von der Seele schreiben dürfen. Alles, was bedrückt. Alles, was beschäftigt. Aber auch alles, was beglückt.

Hören Sie den Podcast aus der Sendung Literaturwelle zum Thema „Ratschläge für ein persönliches Tagebuch“. (Quelle: rro / Kurt Schnidrig / Tiziana Imoberdorf)