In die Jahre gekommen – na und?

Eine aussergewöhnlich alte Führungs-Crew übernimmt in den USA die Macht. Einstein hat vorgemacht, wie man sowas trotz des Alters schafft. (Bild: Einstein Museum / Kurt Schnidrig)

Happy Birthday, Joe Biden! An diesem Wochenende feiert Joe Biden seinen 78. Geburtstag. In genau zwei Monaten wird er als der älteste Präsident in der Geschichte der USA an die Macht kommen. Den Alters-Rekord hielt bisher Ronald Reagan. Als Reagan 1989 abdankte, war er 77 Jahre und 349 Tage alt. Jetzt also ist Joe Biden neuer Alters-Rekordhalter mit 78 Jahren. Da ist der um vier Jahre jüngere bisherige Amtsinhaber Donald Trump geradezu ein Jungspund dagegen. Auch die Führungs-Crew, die Joe Biden zur Seite steht und „stützt“, könnte sich durchaus in einem Altersheim kennengelernt haben. Die Führungs-Crew der Demokraten rund um Joe Biden bringt es auf fast 100 Jahre Erfahrung, um das auch mal positiv zu formulieren: Steny Hoyer ist 81 Jahre alt, Jim Clyburn 80 und die Chefin Nancy Pelosy zittert sich ebenfalls ihrem 80. Geburtstag entgegen.

Das Alter ist nur eine Zahl, wenn es um die Bewältigung von Problemen geht. Und nicht selten bringt das Alter nicht nur körperliche Gebresten mit sich, sondern auch Erfahrung. Bei manchen auch noch die vielgepriesene „Weisheit des Alters“, manchmal auch die „Altersmilde“. All das könnte der bejahrten Führungs-Crew um Joe Biden beim Problemlösungs-Management helfen. Und an Problemen und Krisenherden fehlt es beileibe nicht. Beim Klimawandel, der Mindestlohn-Debatte und der Einführung einer staatlichen Krankenkasse wird die Parteilinke in den USA mit der grossen Kelle anrichten wollen.

„Für ein Alter, das noch was vorhat“, hat sich kürzlich auch der Philosoph Ludwig Hasler stark gemacht. Hasler hatte an den Universitäten von Bern, Zürich und St. Gallen gelehrt. Nun hat auch er den siebzigsten Geburtstag längst hinter sich. Und auch er gedenkt noch lange keine Ruhe zu geben. Anfang dieses Jahres hat er ein Buch geschrieben, das sich wie ein Plädoyer für ein tätigeres Alter liest. Ein tätigeres Alter? Das hören nicht alle, welche die 65 überschritten haben, besonders gerne. Oh, nicht das diese gar nichts mehr tun würden. Natürlich beschäftigen sich fast alle im letzten Lebensabschnitt noch mit diesem oder mit jenem: man geht reisen, man geht jassen, man treibt vielleicht sogar noch etwas Sport, man geht ab und zu ins Kino oder man grilliert zumindest bei schönem Wetter im eigenen Garten. Das alles sei zwar gut und recht, schreibt der Philosoph Ludwig Hasler in seinem Buch, das alles sei aber heutzutage nicht mehr das Gelbe vom Ei. Ganz einfach deshalb, weil Tätigkeiten wie reisen, jassen, fernsehen und grillieren nicht glücklich machen. (Ludwig Hasler: Für ein Alter, das noch was vorhat. Sachbuchverlag Rüffer & Rub).

Auch im Alter noch an der Zukunft mitwirken, das legt uns der Philosoph Hasler in seinem Buch nahe. Um im Alter rundum glücklich und zufrieden zu sein, müsse man etwas mehr bewegen als nur sich selbst, doziert Hasler. Mit reisen, jassen und grillieren bewege man nämlich nur sich selbst, und das mache auf die Dauer nicht glücklich, im Gegenteil, man werde unzufrieden und gelangweilt. Darum gebe es nur eins: Auch im Alter an der Zukunft mitwirken! Und dies auch dann, wenn die Zukunft vielleicht nicht mehr die eigene sein wird. Auch im Alter könne man doch noch mitwirken an der Zukunft des Staates, an den gelebten Bräuchen und Traditionen, an Poesie und Literatur… Damit spricht der Philosoph Hasler an, was in Amerika schon längst gelebte Realität ist.

Die Lebenserwartung steigt. Der „Herbst des Lebens“ dauert länger. Das bedeutet, dass wir nach der Pensionierung nochmals ein Vierteljahrhundert zur Verfügung haben. Unsere Grossväter und Grossmütter hatten davon nur träumen können. Damals brannten unsere Vorahnen darauf, die paar Jährchen nach der Pensionierung einfach nur in Beschaulichkeit und in Ruhe zu verbringen. Auch der körperliche Verfall war damals viel früher eingetreten. Heute aber sind viele von uns mit 65 Jahren noch fit und vital, und da stehen noch etliche Jahre bevor, die dazu einladen, nochmals etwas zu reissen, nochmals Träume, Wünsche und Sehnsüchte zu verwirklichen.

„Das defizitäre Bild des Alters ist nicht mehr zeitgemäss.“

Bericht des Bundesrates, erschienen vor 12 Jahren.

Die Wirtschaft beginnt allmählich das grosse und meist brachliegende Potenzial der Senioren zu erkennen. In einigen Betrieben möchte man nicht mehr auf den Erfahrungsschatz der „Alten“ und „Pensionierten“ verzichten. Anders sieht es aus bei kantonalen Stellen und Ämtern. In der Schweiz sind gleich zwei Initiativen gegen die staatliche Diskriminierung der älteren Menschen hängig.

Erfolgreiche Schweizer Autoren sind häufig bereits in die Jahre gekommen: Martin Suter (geboren 1948), Lukas Hartmann (geboren 1944) und Hansjörg Schneider (geboren 1938) haben eines gemeinsam: Alle sind sie sehr spät Romanciers geworden. Der Durchbruch gelang erst mit über sechzig Jahren. Dies mag wohl auch damit zusammenhängen, dass erst eine breitgefächerte Lebenserfahrung einen literarisch ernst zu nehmenden Romancier formt.

Einstein hat vorgemacht, wie man trotz des Alters noch viel bewegen kann. Albert Einstein (1879-1955) wirkte als deutscher Physiker mit Schweizer und US-amerikanischer Staatsbürgerschaft. Er gilt weltweit als bekanntester Wissenschaftler der Neuzeit. Seine Forschungen zur Struktur von Materie, Raum und Zeit sowie zum Wesen der Gravitation veränderten das newtonsche Weltbild. Sein Hauptwerk, die Relativitätstheorie, machte ihn für viele unsterblich. Albert Einstein war ein Genie, auch dann noch, als er in die Jahre gekommen war. Er starb 1955 im Alter von 76 Jahren an inneren Blutungen, die durch die Ruptur eines Aneurysmas an der Aorta verursacht worden waren. Damals traute man sich noch nicht, ein derartiges Leiden operativ zu behandeln. Ein Pathologe nahm nach der Obduktion das Gehirn und die Augen von Albert Einstein an sich. Er wollte die einzigartige Struktur des gealterten Hirns von Albert Einstein der Nachwelt erhalten. Der grösste Teil des Gehirns befindet sich heute im National Museum of Health and Medicine in Chicago, die Augen in New York. Dort, in den USA, können sich Politiker, Kandidatinnen und Kandidaten für das Präsidentenamt, aber auch andere rüstige Seniorinnen und Senioren davon überzeugen, dass unser Gehirn auch dann noch Genie-Charakter aufweist, wenn es in die Jahre gekommen ist. Einstein hat’s vorgemacht!

Hören Sie den Podcast aus der Sendung Literaturwelle zum Thema „Für ein Alter, das noch was vorhat“ (Quelle: rro / Kurt Schnidrig).

Text, Bild und Radiosendung: Kurt Schnidrig