Verschwörung am Himmel

Himmel über dem Simplon, Dezember 2020: Solche Kondensstreifen werden von Vertretern der Verschwörungstheorie als „Chemtrails“ gedeutet. (Foto: Kurt Schnidrig)

Ein wundervoll klarer Dezembertag 2020 am Simplon. Doch was zeichnet sich da hoch oben am Himmel ab? Seit den 1990er Jahren beunruhigt eine gespenstische Verschwörungstheorie die Welt. Wer glaubt, es handle sich lediglich um ganz normale Kondensstreifen, die auf kondensierte Abgase von Flugzeugen zurückgehen, der ist – gemäss der weltweiten Verschwörungstheorie – ganz schön naiv. Bei den Streifen am Himmel soll es sich nämlich um Spuren von diversen chemischen Substanzen handeln, welche die Luftwaffe der USA absichtlich versprüht. Die US Air Force One will nämlich unser Wetter beeinflussen und die „Kondensstreifen“ militärisch nutzen, wird behauptet. Aber das ist noch lange nicht alles. Diese teuflischen „Chemtrails“ sollen überdies darauf abzielen, das Bevölkerungswachstum zu reduzieren. Im Klartext heisst das: Liebe männliche Leidesgenossen, die amerikanischen Streitkräfte haben es auf unsere Zeugungsfähigkeit abgesehen!

Verschwörungstheorie oder Wahrheit? Was ich an diesem klaren Wintertag am Himmel über dem Simplon fotografiert habe, ist ein Phänomen, das nicht nur die Wissenschaft beschäftigt, sondern auch zahlreiche Buchautoren. Während die Wissenschaftler abwiegeln und zu beruhigen versuchen, bieten die „Chemtrails“ für Schriftsteller und Science-Fiction-Autoren einen schier unerschöpflichen Fundus für Geschichten, Thesen und Spekulationen. Für viele phantasievolle Menschen rund um den Erdball steht fest: Am Himmel finden geheime Sprühaktionen zur Rettung vor der Klimakatastrophe statt! Pseudowissenschaftler untermauern diese Vermutung mit dem sogenannten „Welsbach-Patent“, das eine Bekämpfung des Treibhauseffekts durch das Ausbringen chemischer Substanzen in der Atmosphäre vorsieht. Nur eine Verschwörungstheorie? Das Verfahren wird mittlerweile von mehreren Klima-Aktivisten als praktikabler Weg beschrieben. Sprühen die Umwelt-Aktivisten tatsächlich vor den Augen der Weltöffentlichkeit die Atmosphäre voll? Oder verfolgen auch noch ganz anders geartete geheimnisvolle Organisationen am Himmel ihre mysteriösen Ziele?

Geoengeneering“ – eine Horror-Vorstellung. Als Motiv für die Sprühaktionen am Himmel wird in der fiktiven Literatur zudem eine gezielte Bevölkerungsreduktion angeführt. Über die Zusammensetzung der Sprühspuren besteht keine Einigkeit. Oft nennt die einschlägige Literatur jedoch Barium- und Aluminium-Verbindungen als Bestandteil. Anhänger der Verschwörungstheorie gehen von der Verbreitung der Substanzen mittels Sprühvorrichtungen aus, die an der Flugzeugunterseite hinter verschlossenen Klappen verborgen sein könnten. Skeptiker und Wissenschaftler halten derartigen Theorien jedoch entgegen, dass angeblich geheim gehaltene Klappen oder Sprühsysteme spätestens bei der Vorflugkontrolle durch Servicepersonal und Crew entdeckt würden.

Eine weltweite wissenschaftliche Debatte und unzählige Bücher hinterfragen die Chemtrail-Theorie kritisch. Das Verteidigungsministerium der US Air Force teilte kürzlich offiziell mit, keine derartigen Projekte zu betreiben. Von wissenschaftlicher Seite wird zudem darauf verwiesen, dass eine weltumspannende Vergiftung der Erdatmosphäre durch Chemtrails eine so grosse Zahl von Mitwissern unter den beteiligten Piloten und Flughafen-Crews haben müsste, dass eine Geheimhaltung praktisch unmöglich wäre. Lassen sich also die am Himmel sichtbaren Kondensstreifen problemlos mit den Mitteln der konventionellen Chemie und Physik erklären?

„Es gibt viele Wolken, denen man es gar nicht mehr unbedingt ansieht, dass sie durch Kondensstreifen hervorgerufen worden sind.“

Ulrike Burkhardt, Forscherin und Herausgeberin einer Studie über Kondensstreifen

Eine Studie ergab, dass die meisten Kondensstreifen aus dem europäischen und amerikanischen Luftverkehr stammen. Forscher sehen die zunehmende Anzahl von Kondensstreifen am Himmel mit Sorge. Ihr Effekt auf das Klima könnte grösser sein als der durch CO2-Emissionen, schreiben sie. Die Streifen und die daraus entstehenden Zirruswolken beeinflussen gemäss neusten Studien den Wärmehaushalt der Erde. Diese Forschungsergebnisse sind nun alles andere als Verschwörungstheorien.

Kondensstreifen oder Chemtrails? Mit grosser Wahrscheinlichkeit tragen die Spuren am Himmel zur Erderwärmung bei. (Foto: Kurt Schnidrig)

Ein Körnchen Wahrheit versteckt sich in vielen Verschwörungs-Theorien. Mysteriöse Theorien, angezettelt oftmals von Geheimbünden, tauchten in der Menschheitsgeschichte immer wieder auf. Die einen lachen darüber, andere erschrecken sie. Die sogenannten „Chemtrails“ am Himmel sind nur ein Stoff, aus dem phantastische Storys gebaut sind. Lenken Illuminaten oder Freimaurer die Geschicke der Welt? Gibt es Menschen, die mit einem Schadenszauber viel Unheil über die Welt bringen können? Wie ist die aktuelle Corona-Pandemie in die Welt gekommen? Ein brandaktuelles und hochinformatives Buch befasst sich mit den wichtigsten Verschwörungs-Theorien. Der Buchautor Ingo Grabowsky ist ein studierter Historiker. Er leitet zahlreiche Forschungsprojekte zu Verschwörungs-Theorien. (Ingo Grabowksy: Ketzer, Chemtrails und Corona. Die mysteriöse Welt der Verschwörungstheorien und Geheimbünde, Hrsg. Heel, 160 Seiten). Das aktuelle Buch erklärt, was Verschwörungstheorien ausmacht, wem sie schaden, und warum sie noch im heutigen Informationszeitalter auf fruchtbaren Boden fallen.

Text und Fotos: Kurt Schnidrig