Heiliges Land: Versöhnung gibt’s nur im Roman

Zwischen den Fronten: Die Klagemauer, religiöse Stätte des Judentums, und der Felsendom, Heiligtum des Islams. (Foto: Kurt Schnidrig)

Eigentlich ist das umstrittene Gebiet „Das Heilige Land“. Es ist dies das Land, in dem sich vor gut zweitausend Jahren die Weihnachtsgeschichte abgespielt haben soll, die Ereignisse rund um die Geburt Jesu also. Seit 1947, als die UNO das Land Israel am Verhandlungstisch wie einen Keil mitten in die arabische Welt hineintrieb, bekämpfen sich nun die palästinensische und die israelische Seite im unerbittlichen Nahostkonflikt. Auch an dieser Weihnacht 2020, ausgerechnet am Weihnachtstag, haben israelische Kampfflugzeuge – nach Raketenangriffen aus dem Gazastreifen – die islamistische Hamas im Palästinensergebiet angegriffen. Versöhnung und Frieden zwischen Israeli und Palästinensern gibt’s einzig im grossartigen Roman des Schriftstellers Colum McCann.

Aggression und Vergeltung. Das „Heilige Land“ am Weihnachtstag 2020: Wieder einmal schlagen Raketen aus dem Gazastreifen im Süden Israels ein, eine weitere Aggression der islamistischen Hamas. Die israelische Armee wartet mit der Vergeltung nicht lange zu. Israelische Kampfflugzeuge steigen auf und bombardieren die Stellungen der Hamas im Palästinensergebiet. Dabei seien untern anderem eine Produktionsstätte für Raketen, unterirdische Bauten und auch ein militärischer Stützpunkt beschossen worden, teilen die israelischen Streitkräfte (IDF) am Weihnachtsmorgen mit.

„Während Familien weltweit um ihre Christbäume herum sitzen, laufen Familien im Süden Israels in Bomben-Schutzräume.“

Tweet der israelischen Streitkräfte

Noch Ende August hatte die Hamas eine Waffenruhe mit Israel verkündet. Israel und Ägypten haben eine Blockade des Gazastreifens aus Gründen der Sicherheit verschärft. Rund zwei Millionen Einwohner leben unter menschenunwürdigen Bedingungen in dem Küstenstreifen am Mittelmeer. Mittlerweile wird die Hamas von Israel, den USA und der EU als Terrororganisation eingestuft. An diesem Weihnachtstag 2020 aber verteidigt sich die Hamas.

„Die israelischen Angriffe waren eine barbarische Aggression. Eine Kinderklinik und ein Rehabilitationszentrum für Behinderte sind beschädigt worden.“

Hasem Kassem, ein Sprecher der Hamas

In dieser traurigen Realität, zwischen Aggression und Vergeltung, ist ein Friede oder zumindest eine Annäherung zwischen den verfeindeten Völkern in weite Ferne gerückt. Leben im „Heiligen Land“ bedeutet auch leben zwischen den Fronten, immer aber mit der Sehnsucht nach Normalität und nach Versöhnung.

Sehnsucht nach Normalität in Tel Aviv: Ein Liebespaar zwischen einem jüdischen Israeli mit Kippa (links) und einem Angehörigen der Armee (rechts). (Foto: Kurt Schnidrig)

Versöhnung gbt’s nur im Roman. „Apeirogon“ – so heisst der starke Roman des Schriftstellers Colum McCann, der zu dieser Weihnacht 2020 erschienen ist. Jerusalem im jüdischen Teil und Jericho im palästinensischen Teil von Israel sind die Schauplätze. Die Story handelt von zwei Vätern, die ihre Töchter in diesem unsäglichen Konflikt verloren haben. Die Tochter des israelischen Vaters kam im Alter von erst 13 Jahren bei einem Selbstmordattentat in Jerusalem ums Leben. Die Tochter des palästinensischen Vaters wurde mit erst 10 Jahren an der israelischen Grenze erschossen. Die Väter der beiden getöteten Töchter schliessen sich zusammen, sie reisen gemeinsam um die Welt und sie plädieren für mehr Menschlichkeit, mehr Gewaltverzicht und für einen Dialog der verfeindeten Gruppen.

Leider nur ein Roman? Das Besondere an „Apeirogon“ von Colum McCann ist der Aufbau der Roman-Story. Der Roman ist in genau 1000 Kapitel eingeteilt. Dieser Aufbau erinnert an die legendären „Geschichten aus Tausendundeiner Nacht“. Ist der „legendäre“ Aufbau des Romans damit ein Indiz für uns Leser*innen, dass es sich eben nur um eine fiktive, um eine märchenhafte und visionäre Roman-Story handelt? In „Apeirogon“ finden sich Kapitel, die nur aus einem einzigen Satz bestehen. Zuweilen setzt der Autor lediglich auf die Bildsprache und verwendet einzig eine Fotografie, das Bilderlesen und das Einsetzen narrativer (erzählerischer) Strukturen überlässt er seiner Leserschaft. Auch spannende und zutiefst berührende Kapitel in Form sachlich-journalistischer Tatsachen-Berichte finden sich im Roman. Das Sachliche, das Berichtende trifft immer wieder auf wunderbar Poetisches, auf biblische Legenden und auf historische Anekdoten. In „Apeirogon“ bedient sich Colum McCann eines literarischen Aspekts, der nur allzu oft vergessen geht: Eine (über-)lebenswichtige Funktion von Literatur besteht im Visionären, im Aufzeigen von Möglichkeiten. Die Sehnsucht nach Frieden, Versöhnung und Verständigung darf nicht bloss eine ferne Vision bleiben. Die Belletristik, insbesondere ein Roman, kann nachvollziehbar und zielführend erzählen, wie die erträumte Wirklichkeit aussehen könnte und wie sie zu erreichen ist.

Im Rahmen der Sendung „Literaturwelle“ wurde der Roman „Apeirogon“ während der Weihnachtstage auf dem Lokalsender rro besprochen.

Text, Fotos und Radiosendung: Kurt Schnidrig