Patricia Highsmith – eine Spurensuche in New York

Zum 100. Geburtstag von Patricia Highsmith machte ich mich auf Spurensuche in New York.

Eine sympathische Stadtführerin entführte mich in New York in ein finsteres Kellerloch. – Mit einem solchen Satz könnte ein Patricia-Highsmith-Krimi beginnen. Die sympathische Stadtführerin hegte jedoch keine bösen Absichten. Sie zeigte uns lediglich das Kellerloch, in dem Tom Ripley, der Held aus den Highsmith-Romanen, lebte und von einer unbeschwerten Dolce Vita träumte. Die legendäre New Yorker Figur Tom Ripley ist der Protagonist in fünf Romanen der Krimi-Autorin Patricia Highsmith. Tom Ripleys Schulfreund heisst Dickie Greenleaf. Dickies Vater ist ein reicher Reeder, deshalb gehört Tom Ripleys Schulfreund Dickie zur Welt der Wohlhabenden. So wie Schulfreund Dickie möchte auch Tom Ripley zur besseren Gesellschaft gehören. Noch aber lebt Tom in seinem New Yorker Kellerloch, er ist ein armer Nobody und noch ahnt niemand, wie weit Tom Ripley gehen wird, um für immer zu Dickies Welt der Wohlhabenden zu gehören.

Erträumtes und verhasstes New York. Patricia Highsmith (19.01.1921 – 04.02.1995) führt uns in ihren Romanen durch eine seltsam zweideutige Weltstadt New York. New York ist einerseits die Endstation vieler Sehnsüchte und Träume. Andererseits ist New York ein verabscheuungswürdiger Schmelztiegel von Kulturen und Völkern. Trotzdem sind es immer zwar traurige, aber liebenswerte Gestalten, von denen Patricia Highsmith erzählt. Versager sind darunter, vom Leben Gebeutelte, aber auch risikofreudige Abenteurer. Da ist etwa das Mädchen, das sich mit dem Umzug nach New York ein lukratives Leben erträumt. Da ist aber auch der Taxifahrer, der eines Morgens Hals über Kopf dem Grossstadtmoloch New York entflieht.

„Wenn er aus einer Distanz von acht Stunden zurückblickte, kam ihm die krampfhaft gezügelte Raserei der Stadt wie eine Krankheit vor. Er dachte an New York, eindringlich und zum letzten Mal.“

Aus: „Der talentierte Mr. Ripley“ von Patricia Highsmith

In New York reifte sie zur Schriftstellerin. Als Patricia Highsmith 13 Jahre alt war, zog sie gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrem Stiefvater nach New York. Die Weltstadt New York bot ihr mannigfache Schreibanlässe. Sie verfasste fürs erste Kurzgeschichten und Gedichte. Nach der Highschool studierte sie am Barnard Mädchen College vor allem Literatur und Latein. Sie veröffentlichte auch einige Geschichten. An der Künstlerakademie Yaddo schrieb sie grosse Teile ihres ersten Romans „Strangers on a Train“, der später von Hitchcock verfilmt wurde. Ihr grösster Erfolg jedoch wurde das Buch „Der talentierte Mr. Ripley“. Die Tom-Ripley-Story wurde mehrmals verfilmt. 1963 übersiedelte Patrica Highsmith nach Europa. In der Schweiz, im kleinen Dörfchen Tegna im Tessin, liess sie sich nieder. Im Jahr 1995 starb sie in einem Spital in Locarno.

„Der Junge, der Ripley folgte“, so ist das vierte Ripley-Buch von Patricia Highsmith betitelt. Es ist dies die Geschichte eines Jungen, der seinen Vater umgebracht hat. Nun sucht der Junge den stadtbekannten Tom Ripley auf, um ihm den Vatermord zu gestehen und um zu versuchen, seine Gewissenslast zu erleichtern. Patricia Highsmith hat sich zu dieser äusserst berührenden Vater-Sohn-Geschichte in einem Statement geäussert:

„Ripley meint, es sei ihm gelungen, den Sechzehnjährigen zu beruhigen, ihn mit sich ins Reine kommen zu lassen wegen des Verbrechens, das er in wenigen Zornsekunden begangen hat. Es geht hier um die Frage der Moral oder der fehlenden Moral: in unserer Welt der zornigen jungen Männer und gedungenen Mörder, die sich im zwanzigsten Jahrhundert nicht unterscheiden von den zornigen Männern und gedungenen Mördern der vorchristlichen Jahrhunderte: interessiert es da jemanden, wer mordet und wer ermordet wird?“

Patricia Highsmith

New-York-Stories zum 100. Geburtstag. Bei Diogenes sind im Jubiläums-Jahr 2021 soeben frühe und bisher unbekannte Patricia-Highsmith-Stories unter dem Titel „Ladies“ veröffentlicht worden. Es sind dies allererste Krimi-Versuche, welche Highsmith bereits als 20-Jährige verfasst hatte. Die Grundthemen in „Ladies“ sind immer gleich: Es geht um Hass, Bosheit und Neid und am Schluss siegt das Böse über das Gute. In einer dieser Stories tritt als Protagonistin eine sadistische Turnlehrerin auf. In einer anderen Geschichte setzen Eltern ihre Tochter in New York aus und überlassen sie ihrem Schicksal. In einer weiteren Story vermiest eine Ehefrau ihrem Ehemann den Kauf eines Gemäldes, weil die Blumen darauf die falsche Farbe hätten. Oder da tritt gleich mehrmals eine Mrs. Robertson auf, die nicht mit ansehen kann, wie ein verliebtes Paar sich herzt und sich küsst und glücklich ist. In all ihren literarischen Werken ist es eine verrückte Krimi-Welt, bevölkert von psychopathischen Krimi-Helden, die uns Patricia Highsmith hinterlassen und vererbt hat. Immer jedoch sind die Highsmith-Krimis psychologisch stimmig und nachvollziehbar.

Hören Sie den Podcast aus der Sendung Literaturwelle zu Patricia Highsmith. (Quelle: rro / Kurt Schnidrig / Tiziana Imoberdorf)

Text, Bild und Radiosendung: Kurt Schnidrig