Joe Biden: „Versprich es mir“

Der neue US-Präsident Joe Biden spricht in seinem neuen Buch über „Hoffnung am Abgrund“. Im Bild: Die Freiheitsstatue auf Liberty Island im New Yorker Hafen. Foto: Kurt Schnidrig

Der neue US-Präsident Joe Biden ist ein Versprechen für die Zukunft. Dasselbe hatte man auch schon bei der Wahl von Barack Obama schreiben können. Als dessen Vizepräsident durfte Joe Biden souverän Erfahrungen sammeln. Er tat dies als Welt-Diplomat und als politischer Strippenzieher. In Joe Bidens privatem und politischem Werdegang spiegeln sich die Veränderungen der politischen Kultur der USA. Bereits mit 29 Jahren wurde der Sohn eines Autohändlers in den US-Senat gewählt. Doch wäre Joe Bidens Karriere mit all ihren Brüchen, Höhen und Tiefen nicht zu verstehen, würde man nicht auch all das Leid und die Schicksalsschläge mit einbeziehen, die ihm widerfahren sind.

„Joe Biden ist zugleich der unglücklichste und der glücklichste Mensch, den ich kenne.“

Evan Osmos in: Joe Biden. Ein Porträt. Suhrkamp Verlag, 263 Seiten.

Dank der grossartigen Biografie des Weggefährten und Journalisten Evan Osmos ist es auch Aussenstehenden und Nicht-Amerikanern möglich, den künftigen amerikanischen Präsidenten Joe Biden kennenzulernen und zu verstehen. Der New Yorker Reporter legt spannend und gut nachvollziehbar dar, wie sich da jemand aus einfachen Verhältnissen und zudem noch mit einem Stottern behaftet auf den langen Weg einer ambitionierten Polit-Karriere begibt. Dabei hält der Biograf nicht mit kritischen Anmerkungen zurück. Er gestattet uns auch tiefe Einblicke in Bidens Überheblichkeiten und in seinen politischen Opportunismus. Er zerpflückt auch Joe Bidens Angebereien, die zuweilen in seinen Statements mitschwingen. Zentral jedoch ist die Tatsache, dass mit Joe Biden eine „Schlüsselfigur“ in den Bereichen Justiz und Aussenpolitik ins Weisse Haus im toxischen Washington einzieht.

Eine Gegenfigur zu Donald Trump. Nichts weniger als eine „neue Politik der Fairness“ erwartet die Welt von Joe Biden. Als Gegenfigur zu Donald Trump ist Joe Biden in den Wahlkampf gezogen. Hatte Donald Trump seine ganze Kraft und sein überzeugtes Ego aus dem Bild eines glorreichen Siegers gespeist, ist Joe Biden dagegen ein Mensch, der zu seinen Niederlagen und Fehlern steht. Dem nichts einfach so in den Schoss fiel. Der vieles mühsam lernen musste. Gut möglich allerdings, dass Bidens hart erkämpfter Aufstieg zu einer kommunikativen Vernetztheit geführt hat, die es ihm nun ermöglicht, auch einen Draht zu den politischen Gegnern, den Republikanern, zu finden. Bedingung dafür aber ist, dass er seine Traumata und Komplexe überwindet, hervorgerufen durch grosses Unglück, das er erlitten hat, und das sich womöglich in „Wortfindungs-Störungen“ äussert.

„Versprich es mir!“ Das neuste Buch von Joe Biden hat mich überrascht und erstaunt. Zuweilen war ich bei der Lektüre auch zutiefst berührt. Obschon soeben zum US-Präsidenten gewählt, ist von dieser epochalen Wahl in Bidens Buch kein einziger Satz zu lesen. Erst nach eigener Recherche bin ich auf die deutschsprachige Erstausgabe von „Promise Me, Dad“ gestossen, die bereits im Jahr 2017 erschienen ist, und die nun praktisch unbearbeitet neu aufgelegt worden ist. (Joe Biden: Versprich es mir. Über Hoffnung am Rande des Abgrunds. C.H.Beck 2020, 250 Seiten). Somit fehlt in diesem Buch alles, was seither geschah: Kein Wort über den „Trumpismus“, der das Land gespalten hat, und kein Wort auch über den erfolgreichen Anti-Trump-Wahlkampf. Trotzdem ist das Buch absolut lesenswert, vor allem deshalb, weil ohne die familiäre Tragödie die Persönlichkeit und das Charisma des neuen US-Präsidenten Joe Biden nicht zu verstehen wären. Seinem todkranken Sohn Beau zuliebe hatte er 2015/16 auf eine Kandidatur verzichtet. Sein eigener Sohn hatte ihm dann jedoch kurz vor seinem Tod anscheinend das Versprechen abgenommen, erneut für das Präsidenten-Amt zu kandidieren.

Ein menschliches Drama. Nach dem Unfalltod seiner Frau Neilia und seiner Tochter Naomi hatte das lange Leiden und Sterben seines Sohnes Beau (amtlich: Joseph Robinette III) begonnen. Beau Biden war Justizberater der Regierung des Bundesstaates Delaware gewesen und zugleich der Chef der dortigen Strafverfolgungsbehörde. Im Buch „Versprich es mir“ verwebt Joe Biden die Krankheitsgeschichte seines Sohnes mit einer Rückblende auf seine Zeit als US-Vizepräsident. Dass dabei auch immer wieder die enge Freundschaft zu Barack Obama zur Sprache kommt, hat nicht nur politische Gründe. Obama war seinem Freund Biden behilflich, unzählige Top-Mediziner ans Krankenbett von Sohn Beau zu holen. Die besten Ärzte Amerikas kämpften mit allen Mitteln, zuletzt gar mit unerprobten und nicht zugelassenen Behandlungen, um das Leben von Beau Biden. Vater Joe Biden verfolgt im Buch den Krankheitserlauf bis zum Tod seines Sohnes akribisch, oftmals in der Sprache der Mediziner und unter Verwendung zahlreicher Fachtermini. Joe Bidens neustes Buch zum Amtsantritt als gewählter neuer US-Präsident lässt sich somit paradoxerweise als „Trauerarbeit“ interpretieren.

„Mein Sohn Beau ist der beliebteste Mensch im Bundesstaat Delaware. Er wäre zukünftig der höchst aussichtsreichste demokratische Anwärter auf das Weisse Haus. Wäre da nur nicht dieser böse Krebs…“

Joe Biden im Buch: „Versprich es mir“.

Das ungetrübte Bild eines mustergültigen US-Bürgers – das vermittelt Joe Biden in seinem Buch. Es gibt tatsächlich wenig Anlass, an Bidens Integrität zu zweifeln. Ein untadeliger US-Bürger ist er mit Bestimmtheit, wenn auch auf eine biedere Art und Weise. Können Gutmenschen mit ihrer grenzenlosen Selbstlosigkeit und mit ihrem pedantischen Pflichtbewusstsein auch nerven? Vielleicht. Besonders dann, wenn man es als Buchautor bisweilen arg dick hervorstreicht und mit einer Vielzahl von heldenhaften, ehrenvollen und vor Selbstmitleid triefenden Erzählungen untermauert. Beim genaueren Hinschauen versteckt sich hinter den Helden-Erzählungen zuweilen jedoch auch Fragwürdiges. Dann etwa, wenn Autor Joe Biden in seinem Buch sein Engagement im Ukraine-Russland-Konflikt und im Kampf gegen den islamischen Staat thematisiert. Da verschweigt der anständige Biedermann, dass die US-Truppen illegal in den Irak einmarschiert waren, wodurch die Nahost-Krise neu befeuert wurde. Biden jedoch ist – ganz treuer Diener seines Landes – von der grossartigen Mission der amerikanischen Soldaten im Irak überzeugt, die – gemäss Biden – nichts anderes als den Weltfrieden anstreben, so wahr ihnen Gott helfe.

Eine freundlichere Weltpolitik erwartet uns, vieles spricht zumindest dafür. Dafür steht der Privatmann und Politiker Biden. Dafür steht auch das bemüht ungetrübte Bild, das Biden von sich und von seiner Familie abgibt. Die Bidens sind wahre Vorbilder für die US-Bürger. Als Teil der Ostküsten-Elite sind die Bidens selbstlos, herzlich und offen zu jedermann. Inmitten dieser Premium-Verwandtschaft ist Joe Biden der ruhende Pol und der Ankerplatz. Ob er nun als „Elder Statesmen“ wohl besser in den Hintergrund getreten und sich um seine Enkel gekümmert hätte? Die Zukunft wird es weisen. Stattdessen zieht er mit 78 Jahren ins Weisse Haus ein. Joe Biden ist ein Garant für mehr Freundlichkeit in der Weltpolitik, er steht aber auch für viel Biederkeit und Langeweile. Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten waren bisher eher Showmaster und ehemalige Hollywood-Stars – auch im Präsidentenamt – gefragt. Wer jedoch auch noch Mary Trumps Buch „Zuviel ist nie genug“ über die zerstrittene und sich bekämpfende Familie Trump gelesen hat, der kann verstehen, dass sich viele Menschen in diesem Land nach ruhigeren Zeiten sehnen.

Text und Bild: Kurt Schnidrig