Literarische Inspiration an der Küste Südenglands

Die Küste Südenglands ist Schauplatz für grossartige Stücke und für dramatische Produktionen der Weltliteratur. Im Bild: Die „Seven Sisters Klippen“. (Fotos: Schnidrig)

Ein Besuch an der Küste Südenglands ist für Literaten und für Literaturbeflissene äusserst lohnend. Eine wahrlich atemberaubende Naturattraktion sind die Seven Sisters Klippen in Sussex (Bild oben). Oder die weissen Klippen von Dover. Sie wurden während des Zweiten Weltkriegs zu einem britischen Nationalsymbol. Es dauert nur ein paar Stunden, um von London aus dorthin zu gelangen. Im Südwesten Englands lässt sich die literarische Spurensuche auf der felsigen Halbinsel Cornwall fortsetzen. Inmitten dieser malerischen Landschaften am türkisblauen Meer mit feinen Sandstränden spielen zahlreiche grossartige Erzählungen der Weltliteratur. Viele dramatische Produktionen haben die Küste und die Klippen Südenglands zum Schauplatz auserwählt. Virginia Woolf, Daphne Du Maurier, Jeremy Seal oder Enid Blyton – die Liste der berühmten Schriftsteller*innen der Weltliteratur, die sich an der Küste Südenglands inspirieren liessen, ist schier endlos.

Die ganz eigene geheimnisvolle Stimmung an der Südküste Englands inspirierte viele Autorinnen und Autoren der Weltliteratur. (Bild: Schnidrig)

Virginia Woolf lebte inmitten der wilden Natur Cornwalls ihre künstlerische Sensibilität aus. Hier fand sie zu ihrem avantgardistischen Stil, mit dem sie die Literatur revolutionierte. Sie tat dies mit ihren experimentellen psychologischen Romanen. Darin wandte sie eine Montagetechnik an, die auf neuartigen literarischen Gestaltungsmitteln basiert. Sie liess einen Strom von Empfindungen in ihre Texte einfliessen, der im ständigen Wechsel von Umwelt und Natur, von vergangenen und gegenwärtigen Geschehnissen, die Handlung des Romans in eine stets wechselnde Gefühlslage einbettet. In ihrem ersten experimentellen Roman „Jacobs Zimmer“ bleiben die Figuren auf der Suche nach Identität zwischen Realität und Traumwelt gefangen. In „Mrs Dalloway“ gelingt ihr gar ein Meisterwerk moderner Erzählkunst. Beeinflusst von Siegmund Freud, bedient sie sich darin der neusten Erkenntnisse der Psychoanalyse.

„Es ist nicht die Aufgabe eines Romanciers, Lehren zu predigen, Lieder zu singen oder das britische Weltreich zu verherrlichen, sondern die Psyche des Menschen zu ergründen.“

Virginia Woolf in einem Essay von 1924

Die Handlung in Virginia Woolfs psychologischen Romanen erfährt die Leserschaft lediglich über den Bewusstseinsstrom der Akteure. Höchst spannend sind auch Woolfs Erzähltechniken. Insbesondere mit ihren tempus fugit-Motiven (abgebrannte Kerzen, abgelaufene Uhren) führte sie eine markante Symbolik in die Weltliteratur ein. Ein wichtiges Symbol bei ihr ist auch der Leuchtturm. In ihrem Werk „To the Lighthouse“ (Zum Leuchtturm) perfektioniert sie ihre Erzähltechnik. Der Leuchtturm wird zu einem mehrdeutigen Symbol. Der Leuchtturm steht als Symbol für Beständigkeit und für feste Normen und Wertevorstellungen.

Inmitten der imposanten Küstenlandschaft Südenglands erscheint der Mensch klein und randständig. (Foto: Schnidrig)

Auch Daphne Du Maurier hat in ihren Romanen die imposante Küstenlandschaft Südenglands eingefangen. Im Jahr 1969 zog sie nach Klimarth an der Südküste Englands. Viele Orte in Cornwall sollten fortan Inspirationen liefern für Daphne Du Mauriers Romanwelt. Dazu zählt das Buch „Rebecca“ oder – auch in deutscher Sprache erhältlich – „The House on the Strand“„Das Haus am Strand“. Daphne Du Maurier starb 1989. Ihr literarisches Erbe wird jährlich im Monat Mai in Fowey, einem Dorf an Südenglands Küste, gefeiert. Aus dem Bereich der Trivialliteratur hat sich Rosamunde Pilcher einen Namen geschaffen, der mit dem Westen von Cornwall in Verbindung gebracht wird. Viele ihrer Bücher wurden vom deutschen Fernsehen verfilmt. Die bekanntesten sind „The Shell Seekers“, „Der Tag des Sturms“ und „Unter Zwillingen“.

Märchenhafte Häuserzeilen in Sussex inspirieren die Romanautorinnen und -autoren. (Bild: Schnidrig)

Das Genre der „Cornwall Romane“ wird aktuell auch von Deutschland aus befeuert. Zu den Verfasserinnen von Cornwall-Romanen gehört etwa die Kölnerin Gabriele Diechler. Nach vielen Jahren als Drehbuchautorin und Dramaturgin widmet sie sich nun hauptsächlich dem Schreiben von Romanen. „Die Roseninsel – Ein Cornwall-Roman“ – so heisst ihr neustes Werk, das im Februar 2021 erscheint. Darin geht sie den Fragen nach: Kann man sich im falschen Moment verlieben? Und überwindet Liebe jedes Hindernis?

„Wenn Sie das Buch aufschlagen, finden Sie sich in Cornwall wieder mit Blick zu einem berühmten Leuchtturm auf der anderen Seite. Cornwall, das bedeutet imposante Felsen, einsame Buchten mit feinen Sandstränden, Palmen, deren Blätter sich sanft im Wind wiegen und eine einzigartige Vegetation.“

Gabriele Diechler

Die Buchhändlerin Emma reist nach London, um ihren verstorbenen Eltern nahe zu sein. Sie begegnet einer Kollegin, Ava, die ihr ein verlockendes Angebot unterbreitet. Emma soll auf ihrem Anwesen auf der Roseninsel in Cornwall die Bibliothek auf den neuesten Stand bringen. Völlig unerwartet trifft Emma in dem Haus auf den Klippen auf Ethan. Plötzlich steht sie vor der grössten Herausforderung ihres Lebens.

Es gibt viel zu entdecken an der inspirierenden Südküste Englands. (Foto: Schnidrig)

Riechen Sie schon das Meer? Haben Sie Appetit auf einen Cornwall-Roman? Oder haben Sie Lust bekommen, sich wieder mal in einen Klassiker der Weltliteratur zu vertiefen, der an Englands Südküste spielt? Virginia Woolf oder Daphne Du Maurier bieten mit ihren Romanen Garant für ein faszinierendes und höchst bereicherndes Leseerlebnis. Wer sich schon mal mit imposanten Bildern und Schauplätzen von Südenglands Traumkulisse in Roman-Stimmung versetzen lassen will, dem bieten die angesagten TV-Serien – trotz oftmals seichter Unterhaltung – zumindest einen optischen Einstieg in grossartige Romanwelten.

Die malerischen Klippen Südenglands geben so manchen zauberhaften Schauplatz ab für grossartige Erzählungen der Weltliteratur. (Bilder: Kurt Schnidrig)

Text und Bilder: Kurt Schnidrig