Frauen schreiben (Literatur-) Geschichte

Zusammen mit dem Frauenstimmrecht nahm auch die Frauenliteratur bei uns Fahrt auf. Im Bild: Junge Frauen feiern ihre Buch-Vernissage. (Foto: rro / Schnidrig)

Ungefähr zur gleichen Zeit, als die Schweizer Männer ihren Frauen das Stimm- und Wahlrecht zugestanden, eroberten sich schreibende Frauen endlich auch einen adäquaten Platz in der Literaturgeschichte. Im deutschsprachigen Raum erkämpften sich erst Mitte des 20. Jahrhunderts mutige und starke Frauen wie Marie Luise Kaschnitz oder Else Lasker-Schüler als Schriftstellerinnen den ihnen zustehenden Platz in der Literaturgeschichte. Eine neue Form deutschsprachiger Frauenliteratur tauchte gar erst in den 1970er Jahren auf, also fast punktgenau zum Zeitpunkt, als das Frauenstimm- und Wahlrecht in der Schweiz eingeführt wurde. Der Anstoss dazu kam aus Westdeutschland. Schreibende Frauen waren es, die in ihrem schriftstellerischen Werk unmissverständlich die weibliche Beteiligung an der von Männern dominierten Literaturgeschichte einforderten. Autorinnen wie Verena Stefan mit „Häutungen“ oder Karin Struck mit „Klassenliebe“ waren Trendsetterinnen dieser emanzipatorischen Frauenliteratur. Die schreibenden Frauen reflektierten das Problem der weiblichen literarischen Produktivität. Um wahrgenommen zu werden, verliehen sie ihren Texten oftmals auch eine experimentelle literarische Form.

Schreiben – eine Domäne der Männer? Zwar sind bereits im Hoch- und Spätmittelalter erstmals Frauen in Europa als Autorinnen aufgetreten. Sie hatten vor allem geistige und höfische Schriften verfasst. Das Schreiben blieb jedoch allzu lange einzig den Nonnen in den Klöstern vorbehalten. Sie betätigten sich als Dichterinnen, Verfasserinnen und Übersetzerinnen. Hildegard von Bingen ist wohl die herausragendste und bekannteste unter ihnen. Es dauerte dann aber bis zur Epoche des Humanismus, bis sich im nordeuropäischen Bürgertum und Adel die Männer bemühten, auch Frauen in die männlich dominierte Gelehrten- und Literatenwelt einzubeziehen. Italien, dem Mutterland der Renaissance, kommt dabei eine Vorreiterrolle zu. Doch bis weit in die Neuzeit hinein hatte die gelehrte und literarisch tätige Frau gegen weit verbreitete Vorurteile anzukämpfen: Studierte Frauen seien unfruchtbar und verlören durch literarische Betätigung ihre Unschuld, argumentierte etwa der Abt Antroninus in seinen Schmähschriften. Erst dem Humanisten Erasmus von Rotterdam gelang es, derartige Verunglimpfungen mit den Waffen der Logik zu hinterfragen.

Schriftstellerinnen mit männlicher Förderung. Schöngeistige Dichterinnen und Autorinnen blieben jedoch bis weit ins 18. Jahrhundert hinein nur unter männlicher Protektion geduldet. Der aufkommende Pietismus ermöglichte es den Frauen erstmals, sich in Laienzirkeln zusammenzuschliessen um religiöse Fragen abzuhandeln. Anna Maria Schürmann liess aufhorchen mit ihrer neuen weiblichen Spiritualität. Ihre schreibenden Anhängerinnen mussten sich jedoch dem Vorwurf der gefährlichen Schwärmerei stellen. Mit Christina Mariana Ziegler eroberte sich erstmals im 18. Jahrhundert – zurzeit der Aufklärung – eine Frau aus eigener Kraft einen Platz in einer deutschen Gelehrtenvereinigung. Dieses Kunststück war ihr gelungen aufgrund von Texten, die sie für eine Kantate von Johann Sebastian Bach verfasst hatte. Dafür wurde sie gar mit der „kaiserlichen Dichterkrone“ ausgezeichnet.

Weibliche „Trivialliteratur“. Sophie von Laroche brach mit ihrem Roman „Die Geschichte des Fräuleins von Sternheim“ (1771) in die Phalanx der von Männern dominierten Erzählliteratur ein. Der empfindsame Briefroman profitierte dabei womöglich davon, dass der grosse Dichterfürst Goethe kurz darauf mit „Die Leiden des jungen Werthers“ (1774) ebenfalls ein Werk in diesem Genre veröffentlichte. Der Frauenförderung verschrieb sich zur Zeit der Klassik auch Schiller. Er tat dies insbesondere als Herausgeber von Literaturzeitschriften und von literarischen Kalendern. Leider müssen sich jedoch auch die Klassiker – trotz ihrer versuchten Frauenförderung – gewisse Abstriche gefallen lassen. Damals etablierte sich nämlich in der Literaturgeschichte die Unterscheidung von „Trivialliteratur“ und „Höhenkammliteratur“. Dabei galten die Frauen mit grosser Selbstverständlichkeit als Verfasserinnen von „Trivialliteratur“. Der Begriff „Trivialliteratur“ hat pejorativen Charakter. Im Gegensatz zur Hochliteratur wird sie als „einfach“, „allgemein verständlich“ und „leicht zu erfassen“ eingestuft. Alternative Begriffe sind Massenliteratur, Schemaliteratur oder Paraliteratur.

Frühfeministische Literatur verdanken wir erst der politisch bewegten Zeit des „Jungen Deutschland“ und des „Vormärz“, die Mitte des 19. Jahrhunderts aufblühte. Dabei war das englisch-französische Vorbild wirksam. Etwas später, in der Restaurationszeit, finden die lyrischen Werke Annette von Droste Hülshoffs endlich Eingang in die Literaturgeschichte. Sie zählen heute noch an unseren Gymnasien zum Literatur-Kanon und sind Schulstoff. Erst um die Jahrhundertwende 1900 entwickelte sich eine weibliche Kunstliteratur. Als Trendsetterin für moderne Frauenliteratur gilt heute die kanadische Autorin Margaret Atwood mit Erzählungen wie „Der Report der Magd“ oder „Die essbare Frau“. Der moderne Frauenroman versucht, gesellschaftliche Poblemzonen in eine nahe Zukunft hochzurechnen. Die Fachliteratur hat dafür den Begriff „Spekulative Fiktion“ kreiert. (Vgl. dazu: Kurt Schnidrig: „Ein Leuchtturm in der Finsternis“, Seiten 270-275).

Junge Menschen – insbesondere auch junge Frauen – geben sich heute oftmals gerne von der philosophisch-romantischen Seite. Bei uns, in einem Tal, wo die Felswände oft so nahe zusammenrücken, dass die Seele fast verkümmert und Schaden zu nehmen droht, in einem Tal, wo die Sehnsucht nach Ferne und Freiheit die jungen Menschen hinaus treibt in die weite Welt, erhält die Thematik „Abheben – Wegfliegen“ eine eigene Bedeutung. Zu diesem Thema habe ich als Dozent für Deutsche Sprache und Literatur vor fünf Jahren mit einem Dutzend junger Frauen eine Schreibwerkstatt durchgeführt. Abheben und Wegfliegen, losgelöst von Mutter Erde, den Freiheitsduft atmen und darüber schreiben – dazu braucht es Glücksmomente, die wir ab und zu ganz bewusst erschaffen müssen, um der technischen Welt der Smartphones und der Netzwerke zu entfliehen. Ein Abenteuertag am Gleitschirm konnte nicht nur als Auslöser und als Stimulus für Glücksmomente dienen, er animierte zwölf junge Autorinnen auch zu zauberhaften Texten.

Zauberhafte Texte junger Frauen aus dem Oberwallis finden sich im Buch „Wo Träume Flügel haben“. (Rottenverlag 2016, 143 Seiten)
Hören Sie den Podcast aus der Sendung Literaturwelle zum Thema „Starke Frauen in der Literaturgeschichte“. (Quelle: rro / Kurt Schnidrig / Petra Imsand)

Text, Bild und Radiosendung: Kurt Schnidrig