Wer gewinnt den Kinder- und Jugendbuchpreis 2021?

Die Shortlist zum Schweizer Kinder- und Jugendbuchpreis 2021 liegt auf: Welche 5 Bücher sind noch im Rennen? (Symbolbild: Kurt Schnidrig)

Rund 100 Eingaben aus über 60 Verlagen und allen vier Sprachregionen zeugen von einer enorm breiten Palette an Kinder- und Jugendbüchern in unserem Land. Keine leichte Aufgabe für die Jury, aus der inhaltlichen wie gestalterischen Diversität auszuwählen. Eine Shortlist mit fünf Büchern wurde ausgewählt, daraus krönt die Jury anlässlich der Solothurner Literaturtage am 15. Mai den Sieger-Titel, der den Hauptpreis erhält. Der Schweizer Kinder- und Jugendbuchpreis wird erst zum zweiten Mal verliehen. Als Trägerschaft zeichnen der Schweizer Buchhändler- und Verleger-Verband SBVV, das Schweizerische Institut für Kinder- und Jugendmedien SIKJM sowie die Solothurner Literaturtage.

Ein auch psychologisch überzeugendes Bilderbuch.

„Lulu in der Mitte“ ist ein Bilderbuch, das wohl in so mancher kinderreichen Familie gute Dienste zu leisten imstande ist. In vielen Familien fühlen sich nämlich die „Sandwich-Kinder“ zu wenig einbezogen, häufig fühlen sie sich benachteiligt und sowohl von den älteren als auch von den jüngeren Geschwistern übervorteilt. Im Bilderbuch füllt das Mädchen Lulu den Platz in der Mitte der Geschwisterreihe aus. Das Bilderbuch zeigt auf, dass ein Mitte-Kind zuweilen eine Extraportion liebevolle Bestätigung und eine gutes Mass an gesundem Selbstbewusstsein braucht. Die Protagonistin Lulu ist allerdings noch zu unerfahren und zu kindlich, deshalb ist sie auf Bestätigung und auf positive Verstärkung von aussen angewiesen. Das Bilderbuch richtet sich mit seiner Botschaft deshalb nicht zuletzt auch an die Erwachsenen, an Eltern, Lehrpersonen und an andere Betreuende. (Micha Friemel (Text) / Jacky Gleich (Illustration). München: Hanser 2020. 32 Seiten, ca. Fr. 21.-)

Ein anspruchsvoller Kinderroman

Lila Perk“ ist eine zwölfjährige Protagonistin, die offenherzig und ungeschminkt von ihrer ersten scheuen Liebesbeziehung erzählt. Nach langer Trauer um den Tod ihrer Mutter hat Lila zurückgefunden zu etwas mehr Leichtigkeit und Humor in ihrem Leben. Auch Lilas Vaters war nach dem Tod seiner Frau allzu lange gefangen in einem Gefühls-Chaos. Nun aber begeben sich Vater und Tochter zusammen auf eine abenteuerliche Reise, auf einen veritablen Road-Trip, der die Beiden einander näher bringen sollte, wenn da nicht auch wieder die Liebe dazwischenfunken würde. Lila freundet sich mit einem verhaltensauffälligen Jungen an, während sich der Vater in Lilas Lehrerin verguckt. Eine Stärke des Kinderromans liegt wohl darin, dass es die Autorin schafft, die Abenteuerreise nicht auf Äusserlichkeiten beruhen zu lassen. Die Reise von Vater und Tochter ist auch eine Reise nach innen, in die Gefühls- und Gedankenwelt. (Eva Roth: Lila Perk. Wien: Jungbrunnen 2020. 160 Seiten, ca. Fr. 22.-)

Der Comic „Élise“ richtet sich gegen erzieherische Gewalt

Élise“ ist ein Comic, der in Grau- und Schwarztönen gehalten ist, und der bereits in Aufmachung und Layout auf den todernsten Inhalt verweist, geht es doch um Gewalt, die Kinder früher und vereinzelt wohl auch heute seitens von Erziehungspersonen erdulden mussten und immer noch erleiden müssen. Die Geschichte erzählt in Rückblenden von einer Zeit, in der Kinder der Willkür von Erwachsenen ausgesetzt und überlassen waren. Die Titelfigur gerät in die Hände einer zweifelhaften Lehrerin, die in ihrem Jähzorn das Kind malträtiert und zum Sündenbock stempelt. Als Folge davon leidet Élise an bedrückenden Alpträumen. Ihr geliebter kleiner Hund spendet Trost, der allerdings nicht ausreichend ist. Das willensstarke Mädchen muss selber aufbegehren und mutig gegen die erzieherische Gewalt ankämpfen. (Fabian Menor: Élise. Genf: La Joie de lire 2020. 96 Seiten, ca. Fr. 25.-)

Eine technisch aufwändige „Graphic Novel“ mit viel Action

„Die Farbe der Dinge“ ist eine technisch aufwändig gestaltete Graphic Novel. Das Buch stellt viele Lesegewohnheiten auf den Kopf. Das Werk ist aufgemacht wie ein Videospiel, das aus der Perspektive einer Drohne aufgenommen zu sein scheint. Die aktionsreiche Geschichte rollt in Form von Piktogrammen ab. Dabei liefern eingestreute Infografiken die dazu nötigen Erklärungen. Eine Stärke des Buchs besteht in den filmreifen Dialogen. Allerdings bleibt die Graphic Novel ein risikoreicher Ritt, der wohl nur eingefuchsten Technik-Freaks gelingt. Hauptfigur ist ein übergewichtiger Junge namens Simon Hope, der aus schwierigen Familienverhältnissen stammt. Von seinem Kollegenkreis wird er gefoppt und gemobbt und zu allerlei Unfug angestiftet. Als er das Ersparte seines Vaters bei einer Wette aufs Spiel setzt, heimst er einen zweifelhaften Erfolg ein. (Martin Panchaud: Die Farbe der Dinge. Zürich: Edition Moderne 2020. 224 Seiten, ca. Fr. 42.-)

Ein Katalog mit Schweizer Tierarten

„Béstiaire helvétique“ entfaltet einen Katalog von in der Schweiz noch lebenden, aber auch von bereits ausgestorbenen Tierarten. Das Buch versteht sich darüber hinaus auch als ein Plädoyer für die Erhaltung von Lebensräumen und der Biodiversität. Die Tierarten sind recht eigenwillig und spielerisch präsentiert. Teils ermutigen die Schwarz-Weiss-Zeichnungen zum Miträtseln, denn sie sind zuweilen emblematisch verschlüsselt. Informative Kurztexte sorgen allerdings dafür, dass kaum Unklarheiten oder Fehlschlüsse möglich sind. Im quadratischen Grossformat präsentiert der Autor die Schweizer Tierwelt wie in einem karikaturistischen Kuriositätenkabinett. (Marcel Barelli: Bestiaire helvétique. Lausanne: EPFL Press 2020. 432 Seiten, ca. Fr. 39.-)

Anregende Diskussionen wünschen sich die Organisatoren des Schweizer Kinder- und Jugendbuchpreises 2021. Die fünf – aus Sicht der Jury – „herausragendsten“ Werke liegen in den Buchhandlungen zur Einsichtnahme auf. Ob es sich bei den fünf ausgewählten Werken auch wirklich um die besten Bücher handelt? Entscheiden Sie, liebe Leserin, lieber Leser. Gewiss präsentiert die Jury mit ihrer Shortlist eine gut reflektierte Auswahl. Die Kriterien allerdings, die zu dieser Auswahl geführt haben, sind immer persönlich. Die Auswahl gründet weder auf Verkaufszahlen noch auf öffentlichen Umfragen. Und auch die Vorlieben des Zielpublikums sind nicht berücksichtigt. „Das prämierte Werk muss als Ganzes überzeugen“, lässt die Jury verlauten. Was das bedeutet, werden wir vielleicht am 15. Mai erfahren. Ob der „Publikumsliebling“ sich dann auch mit dem Entscheid der Jury in Einklang bringen lässt? Wir werden es erleben.

Hören Sie den Podcast zur Sendung Literaturwelle über die Shortlist des Schweizer Kinder- und Jugendbuchpreises in voller Länge. (Quelle: rro / Kurt Schnidrig / Christina Werlen)
Hören Sie drei Tipps zu Büchern, die für den Kinder- und Jugendbuchpreis nominiert sind. Aus dem rro-Live-Programm vom 03.04.2021. (Quelle: rro / Kurt Schnidrig / Yannick Zenhäusern)

Text, Foto und Radiosendungen: Kurt Schnidrig