Milva, beste Interpretin von Bertolt Brecht, ist gestorben

Der Flügel im Mailänder Teatro ist verwaist. Hier gab Milva unzählige Male die Seeräuberjenny aus Brechts „Dreigroschenoper“. (Foto: Kurt Schnidrig)

Sie war die anerkannte Interpretin von Bertolt Brecht. Am Mailänder Piccolo Teatro gab sie unter der Regie von Giorgio Strehler unzählige Male die Seeräuber-Jenny aus der Dreigroschenoper. Maria Ilva Biolcati, genannt Milva, ist von uns gegangen.

„Und das Schiff mit acht Segeln und mit fünfzig Kanonen wird entschwinden mit mir.“

Milva als Seeräuberjenny in der Dreigroschenoper

Milva hatte als Brecht-Interpretin die Nachfolge der legendären Lotte Lenya angetreten. Diese hatte 1924 den jungen Komponisten Kurt Weill kennen gelernt und ging mit dem Musiker eine Liebesbeziehung ein. Lotte Lenya war Sängerin und Schauspielerin in der Uraufführung des ersten gemeinsamen Stücks von Kurt Weill und Bertolt Brecht, im Singspiel Mahagony. Bei der Uraufführung der Dreigroschenoper, im Jahr 1928, spielte sie die Rolle der Seeräuber-Jenny. Als Brecht-Interpretin blieb Lotte Lenya damals unerreicht. Erst als Milva 1965 von Giorgio Strehler ans Piccolo Teatro in Mailand verpflichtet wurde, fand Lotte Lenya in „La Rossa“, wie Milva auch genannt wurde, eine würdige Nachfolgerin. Den Zunamen „La Rossa“ hatte sich Milva nicht nur ihrer roten Haarpracht wegen erworben. Als überzeugte Sozialistin passte die rote Farbe auch politisch bestens zu ihr, genauso wie die Songs des Sozialisten und Kommunisten Bertolt Brecht, der sich zeitlebens der Marxistischen Philosophie verpflichtet fühlte. Milva sang die Brecht-Songs nicht nur auf Italienisch, sondern auch auf Englisch, Französisch, Spanisch, Griechisch, Portugiesisch, Japanisch und natürlich auch auf Deutsch.

„Meine Herren, da wird ihr Lachen aufhören, denn die Mauern werden fallen und die Stadt wird dem Erdboden gleich gemacht. Nur ein lumpiges Hotel wird verschont von dem Streich. Und man fragt: Wer wohnt Besonderer darin? Und in dieser Nacht wird ein Geschrei um das Hotel sein. Und man wird sich fragen: Warum wird das Hotel verschont? Und dann wird man mich am Morgen aus der Tür treten sehen. Und man wird sagen: Die hat darin gewohnt? Und das Schiff mit acht Segeln wird entschwinden mit mir.“

Milva als Seeräuber-Jenny in der Dreigroschenoper

Im deutschsprachigen Raum sorgte Milva mit Liedern des griechischen Komponisten Mikis Theodorakis für Furore. Unvergesslich sind ihre Auftritte mit grossartig vertonten Texten zusammen mit Montserrat Caballé und Angelika Milster.

„Ich habe keine Angst. Ich weiss mich zu wehren. Ich lass mir mein Ich nicht so leicht versehren. Ich hab keine Angst, mir nicht treu zu bleiben. Nur das, was ich will, werd‘ ich unterschreiben. Ich hab keine Angst. Keine Angst vor Krisen. Hab‘ ich nicht grad dann immer Mut bewiesen?“

Aus: „Ich hab keine Angst“ von Milva. Writers: Evangelos Papathanassiou, Thomas Woitkewitsch.

Häufig verfügten Milva-Lieder über eine überraschende Wende am Song-Ende. So erschrecken zum Schluss des Chansons „Ich hab keine Angst“ die von Milva in die Welt geschrieenen Worte: „Doch ich kann schon lange nicht mehr träumen“, womit sie sich als eine Schauspielerin des Lebens enttarnt, die es schafft, ihre eigenen Ängste unter der Maske einer starken Frau zu verstecken.

„Erst wenn die Nacht zum Tag wird, dann werden wir die Brücken sehen“: Milva propagierte in ihren Chansons die Nächstenliebe und die Menschlichkeit.

Erst wenn der Wind sich dreht, fegt er Mauern fort und die Nächstenliebe bleibt nicht nur ein leeres Wort, sang Milva. Wenn der Wind sich dreht, wenn die Nacht zum Tag wird, dann werden wir die Brücken sehen. Milva mimte zeitlebens die starke Frau.

„Wer wird als Frau denn schon geboren? Man wird zur Frau doch erst gemacht. Ich mag dich, weil du klug und zärtlich bist. Und doch, das ist es nicht allein. Du zeigst mir immer, dass es möglich ist, ganz Frau und trotzdem frei zu sein.“

Aus: „Zusammenleben“ von Milva. Writers: Theodorakis, Woitkewitsch

Milva, 1939 als Maria Ilva Biolcati in Goro an der Adriaküste geboren, war die Tochter einer Schneiderin und eines Fischers. Sie wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf. Später zog sie nach Bologna, wo sie eine Gesangs- und Schauspielausbildung erhielt. Sie feierte grosse Erfolge auf internationalen Bühnen. Als Brecht-Interpretin durchlief sie eine ähnliche Karriere wie ihre Vorgängerin Lotte Lenya. Wie Lenya stammte auch Milva aus ärmlichen Arbeiterkreisen. Und wie Lenya schaffte auch Milva eine Karriere aus ärmlichsten Verhältnissen als Tänzerin, Chansonnière und Schauspielerin auf den grossen europäischen Bühnen. Bereits 2010 teilte Milva mit, dass sie aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr auftreten werde. Sie lebte in Mailand und starb im Alter von 81 Jahren.

Text und Fotos: Kurt Schnidrig